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Lärmprotest in Mainz : Teil des Problems

Mit Lärm gegen den Lärm: bei der Kundgebung am Mainzer Hauptbahnhof am Samstag. Bild: Sick, Cornelia

Mehr als 4000 Leute protestierten am Samstag in Mainz gegen Bahn- und Fluglärm und klatschen für Kritik an der Konsumwelt.

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          Erdbeeren aus fernen Gefilden, die das ganze Jahr über in deutschen Läden zu kaufen sind, haben einen faden Beigeschmack. Die moralischen und, gesamtgesellschaftlich gesehen, tatsächlichen Kosten von Billigst-T-Shirts aus Bangladesch sind weit höher als ihr Ladenpreis. So sieht es Emil Hädler, der Vorsitzende des Deutschen Werkbunds in Rheinland-Pfalz, der gestern in Mainz öffentlich gegen den zunehmenden Zivilisationslärm als Ergebnis einer globalisierten Wirtschaft und ihrer Transportwege wetterte. „Dabei sind wir alle Teil des Problems“, sagte der streitbare Architekturprofessor. Irgendwann werde aber hoffentlich auch der letzte hiesige Konsument erkennen, „dass Erdbeeren im Winter ziemlich laut sind“.

          Markus Schug
          Korrespondent Rhein-Main-Süd.

          Von den etwa 4500 Menschen auf dem Bahnhofsplatz, die gegen Bahnlärm und gegen Fluglärm protestierten, bekam Hädler viel Applaus. „Gemeinsam gegen Lärm“ hieß das Motto der Veranstaltung verschiedener Initiativen; die rheinland-pfälzischen Grünen hatten den Aufruf zum Protest unterstützt.

          Gesundheit statt Wachstum und Profit

          Abordnungen aus dem Mittelrheintal, in dem schon jetzt, verursacht vor allem durch Güterzüge, Lärmwerte „von 100 Dezibel und mehr“ keine Seltenheit seien, und Bürger aus Anrainer-Gemeinden des Frankfurter Flughafens trafen sich um 12 Uhr am Sitz der für den Gütertransport zuständigen Bahntochter DB Schenker Rail Deutschland AG. Von dort aus ging es, laut gegen den Lärm lärmend, einmal quer durch die Innenstadt bis zum Mainzer Hauptbahnhof. „Wir werden erst Ruhe geben, wenn Ruhe herrscht“, sagte Birgit von Stern, Sprecherin des Bündnisses der Bürgerinitiativen. Weil Gesundheit und Leben nun einmal wichtiger seien als Wirtschaft, Wachstum und Profit. Gutachten belegten die krankmachende Wirkung von Lärm, trotzdem werde er immer noch unterschätzt, verharmlost oder ignoriert, hieß es weiter.

          Dem Aufruf zum Protest waren deutlich weniger Leute gefolgt als im Oktober 2011, kurz nach der offiziellen Inbetriebnahme der Nordwest-Landebahn am Frankfurter Flughafen; seinerzeit sprach die Polizei von mehr als 15.000 Demonstranten. Ein bisschen Gewöhnung und sicherlich auch etwas Resignation nannten Teilnehmer als Gründe dafür, dass die Fluglärm-Gegner gestern in Mainz nicht noch mehr Mitstreiter auf die Straße hatten bringen können. Auch habe wohl das nasskalte Wetter wohl der Veranstaltung geschadet.

          „Wer braucht Kartoffeln aus Ägypten?“

          Die eigentlich geplante Nachfeier im Volkspark wurde kurzerhand abgesagt. Dafür gab es für Hartgesottene am Hauptbahnhof wenigstens ein Gläschen Wein aus der Region und Kartoffelsalat. „Wer braucht eigentlich hier Kartoffeln aus Ägypten“, sinnierte bei dieser Gelegenheit Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), der zuvor ein kurzes Grußwort gesprochen hatte. Neulich sei ihm in einem Mainzer Geschäft genau dieses Angebot ins Auge gesprungen. Wo doch gleich daneben im Regal deutsche Grumbeeren lagen.

          Einen „Transport-Wahnsinn“ prangerte auch Frank Gross, der Erste Vorsitzende des Bürgernetzwerks Pro Rheintal, an: „Tulpenzwiebeln werden zum Austreiben nach Neuseeland geschickt. Das Krabbenpulen überlässt man inzwischen Firmen aus China. Und alle Teile eines Autos zusammengenommen haben bei der Auslieferung des Wagens schon mehr Kilometer zurückgelegt als das Fahrzeug jemals schaffen wird.“ Das alles nenne sich dann freier Warenverkehr, so Gross, der sich durchaus als Bahnfreund zu erkennen gab. Dringend notwendig sei eine Modernisierung der Schienenfahrzeuge, die in anderen Ländern längst auf deutlich leisere Bremsen umgerüstet seien. Die Befürchtung, dass die Menschen in Mainz und im Mittelrheintal durch die für 2016 geplante neue Bahnverbindung Genua-Rotterdam mit dem Gotthard-Basistunnel sonst „unter die Räder kommen könnten“, teilte Emil Hädler. Um bis zu 30 Prozent werde der Warenstrom dank dieser Alpentransversale zunehmen. Die Anwohner entlang der Route würden sich dann die Augen reiben“, meinte er, so wie die Flughafen-Anwohner, als die Nordwest-Landebahn tatsächlich in Betrieb ging.

          Den Rückbau der Landebahn, den Verzicht auf ein drittes Terminal und eine Begrenzung der Flugbewegungen auf jährlich etwa 380000 Starts und Landungen in Verbindung mit einem strikten Nachtflugverbot von 22 bis 6 oder gar 7 Uhr: Das alles forderten auch gestern wieder jene Initiativen, die den Ausbau des Frankfurter Flughafens für eine Fehlentwicklung halten, unter der Zigtausende zu leiden haben. „Mobilität bedeutet nicht, zu jeder Zeit, möglichst schnell und möglichst billig an jedem Ort der Welt zu sein“, sagte Gabriele Franz von der Initiative „Stoppt Fluglärm in Kelkheim“. Die Gesellschaft gehöre „entschleunigt“.

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