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KZ-Überlebender Zwi Cohen : Die Mundharmonika rettete ihm das Leben

  • -Aktualisiert am

„Ich hatt’ einen Kameraden“: Damit rührte Zwi Cohen zwei SS-Männer. Bild: Kretzer, Michael

Zwi Cohen hat Theresienstadt überlebt, im Kibbuz fand er eine neue Heimat. Für einen Film haben er und seine Freunde mit deutschen Studenten gesprochen.

          3 Min.

          Zwi Cohens Geschichte ist so erstaunlich, dass sogar seine Freunde sie lange nicht geglaubt haben. Ein Judenjunge im Berlin der Kriegszeit verlässt zwei volle Jahre lang nicht die Wohnung seiner Eltern, die in der Hauptstadt Zwangsarbeit leisten mussten: Das haben alle für unmöglich gehalten. „Gerettet hat mich die Musik“, sagt Zwi, den alle nur mit Vornamen anreden.

          Am 7.Mai1943, Zwi erinnert sich noch genau, hörte er das Stampfen von Stiefeln auf der Treppe. „Aufmachen!“, tönte es. Vor der Tür standen „zwei Riesen“ mit den gefürchteten SS-Blitzen an der Uniformjacke. „In fünf Minuten raus!“, kommandierten die Männer. Zwi wollte noch schnell seine Mundharmonika einpacken. Einer der SS-Männer sah das Instrument und befahl ihm: „Spiel’ was!“ Und Zwi setzte das Instrument an seine Lippen und spielte „Ich hatt’ einen Kameraden“. Danach „Lili Marleen“ und noch viele andere Lieder. Deutsche Lieder. Denn, so sagt Zwi: „Wir waren Deutsche.“

          Die Melodie geht durch Mark und Bein

          Er spielte so lange, bis seine Eltern von der Arbeit nach Hause kamen. Die SS-Männer, Zwi schwört es, behandelten die Familie höflich, einer verneigte sich vor seiner Mutter, der andere begleitete sie die Treppe hinunter, half ihr beim Einsteigen in den Wagen. Zuerst kamen Zwi und seine Eltern in ein Sammellager in Berlin, dann wurden sie ins KZ Theresienstadt deportiert.

          Und jetzt steht Zwi im Kino des Frankfurter Filmmuseums, umringt von sieben Studenten, und spielt auf seiner Mundharmonika. Die Melodie geht den Zuschauern im Saal durch Mark und Bein. Neben Zwi steht sein Bruder Ari. Zwi hatte sich in Theresienstadt so sehr einen Bruder oder eine Schwester gewünscht. „Nein“, sagte die Mutter. „Jetzt kein Kind, nicht für die Deutschen“. Am 5.Februar1945 ging auf Vermittlung internationaler Hilfsorganisationen und angeblich mit Wissen Himmlers ein Transport mit Häftlingen aus Theresienstadt in die Schweiz ab. Zwi und seine Eltern saßen im Zug. Als die Familie schließlich in Palästina eingetroffen und im Kibbuz Ma’abarot eine Bleibe gefunden hatte, wurde die Mutter schwanger. Nun bekam Zwi den lang ersehnten Bruder. Ari begleitet Zwi immer, wenn er nach Deutschland fährt und in Schulen seine Geschichte erzählt. Allein würde Zwi nicht reisen, das Angstgefühl sei nie ganz verschwunden, sagt er.

          Eine untergehende Welt erlebt

          Dieses Mal hat Zwi „Ich hatt’ einen Kameraden“ nicht in einem Klassenzimmer, sondern vor einer Kamera gespielt. Es ist eine der eindringlichsten Szenen des Filmes „Erhobenen Hauptes. (Über)Leben im Kibbuz Ma’abarot“. In diesem Kibbuz südlich von Haifa lebt Zwi jetzt an die 70Jahre. Er ist nicht der einzige Holocaust-Überlebende hier. Hanni Aisner, ebenfalls aus Berlin, hat hier Zuflucht gefunden, auch Ora Lahisch aus Landau und Joav Burstein, der als Junge in Berlin noch den Vornamen Heini trug. Sie alle haben den sieben Frankfurter Studenten, die nun mit Zwi vor der Leinwand des Filmmuseums stehen, aus ihrem Leben erzählt. Im September 2010 sind die Studenten zum ersten Mal zu Dreharbeiten nach Israel geflogen. Den Kontakt zu Zwi und den anderen Überlebenden im Kibbuz Ma’abarot hat Irmgard Heydorn vermittelt, die tapfere Widerstandskämpferin, die so oft mit Trude Simonsohn vor Schülern gestanden und erklärt hat, warum sie als Mitglied einer sozialistischen Gruppe in Hamburg im Untergrund gearbeitet hat. Trude Simonsohn wiederum hat zur Finanzierung des Films beigetragen. Das Geld, das ihre Freunde aus Anlass ihres 90.Geburtstages der Anne-Frank-Jugendbegegnungsstätte gespendet haben, ist in dieses Filmprojekt geflossen. Ein schöner Nebeneffekt ist gewesen, dass die Theresienstadt-Überlebende Simonsohn darüber Zwi kennengelernt hat. Sie hatten sich viel zu erzählen über jene Zeit in der alten Festung, die von den Nazis in ein Lager umgewandelt worden war.

          Die jungen Leute aus Deutschland haben im Kibbuz Ma’abarot in zweifacher Hinsicht eine untergehende Welt erlebt. Zum einen jene der deutschen Juden, die als Kinder unter die Herrschaft der Nationalsozialisten gerieten und nach Palästina entkommen konnten. Wobei Zwi eine Ausnahme bildet, weil er mit seinen Eltern überlebte. Ora Lahisch und Joav Burstein haben dagegen, als sie kurz vor Kriegsbeginn während der sogenannten Kinder-Alija Nazi-Deutschland verlassen konnten, Vater und Mutter zurücklassen müssen und sie nie mehr gesehen.

          Sie haben eine Heimat gefunden

          Eine Welt von gestern ist auch das Kibbuz Ma’abarot. Hier ist die zionistische Kibbuz-Idee der Gemeinschaft und des Teilens weitgehend verwirklicht worden. „Alle bekommen dasselbe“, erzählen die Überlebenden den Studenten. In der Tat ist Ma’abarot so etwas wie ein Fossil. Die Mitglieder teilen sich weiterhin die Einkünfte. Nur die Erziehung der Mädchen und Jungen im Kinderhaus haben die Kibbuzniks aufgegeben. Mittlerweile schlafen die Kinder zuhause bei den Eltern. Damals, als Zwi und die anderen Flüchtlinge in Ma’abarot ankamen, war das Kibbuz noch eine kleine Farm. Längst ist das Ödland rundum urbar gemacht, Fabriken sind entstanden, das Kibbuz ist ein großer Betrieb geworden. Die alles hätten sie mit ihrer Hände Arbeit aufgebaut, erzählt Joav Burstein den jungen Deutschen in diesem so beeindruckenden Film.

          Nun sind er und seine Freunde alt. Aber sie haben ein Zuhause, in dem sie aufgehoben sind und sich sichtlich wohl fühlen. Heimat eben. Statt Berlin nun Ma’abarot. Das hätte sich Zwi Cohen, als er noch Horst Cohn hieß und sich als deutscher Junge fühlte, nicht im Traum vorstellen können. In gewisser Weise ist Zwi aber doch Deutscher geblieben. Mit seiner Genauigkeit wirkt er sogar deutscher als deutsch. Irgendwann hat man Zwi in seinem Betrieb die Aufsicht übertragen. Die Kibbuzniks hätten gewusst, dass er ein Jecke sei, ein deutscher Jude, sagt Zwi: „Und Jecken machen alles hundertprozentig genau.“

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