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Critics Company : Youtube-Stars aus Nigeria zeigen Kunst in Frankfurt

Film, Tanz, Performance, Text in einem: „One Can Only Hope And Wonder“ im MMK Hauptzollamt Frankfurt. Bild: Maximilian von Lachner [F.A.Z.-Rech

Sie sind blutjung und schauen nach vorn, um eine Tradition zu bergen. The Critics Company aus Nigeria schaut im Frankfurter MMK Hauptzollamt nach vorn.

          3 Min.

          Wenn ihr nicht weitergehen wollt, / Steigt ihr irgendwann in die Gräber“ heißt es in dem langen Gedicht „Offenes Feld“ von Deborah Johnson. Es empfängt die Besucher im Hauptzollamt, der Dependance des Museums für Moderne Kunst Frankfurt. Wenig später wird man das Gedicht noch einmal hören, auf Yoruba, einer Landessprache in Nigeria.

          Eva-Maria Magel
          Leitende Kulturredakteurin Rhein-Main-Zeitung.

          Sie wäre die Sprache von Godwin Gaza Josiah, Victor Josiah, Raymond Yusuff, Richard Yusuff und Ronald Yusuff – aber sie sprechen sie nicht oder kaum. Noch dazu leben sie in Kaduna, im Norden Nigerias, in einem Landstrich, in dem mehrheitlich Hausa gesprochen wird. Viele junge Leute lernten die Muttersprachen ihrer Völker nicht mehr, sagt Godwin Josiah. Englisch ist die lingua franca in Nigeria und der Faden zum sprachlichen Erbe wird dünner und dünner.

          Es ist also eine deutliche Aussage, das Gedicht am Ende des Films „One Can Only Hope And Wonder“ von einer jungen Frau auf Yoruba sprechen zu lassen. Wie alles Aussage und Zusammenhang ist in der gleichnamigen Installation, die nun Film, Videoloops, Raum, Licht, Text, Ton und Tanz zusammenführt. Denn die junge Frau, die das Gedicht spricht, und der Mann, ein Tänzer, stehen für eine beinahe göttliche Künstlerin-Schöpferin und ihr Werk.

          „One Can Only Hope And Wonder“: Teil der Film-Installation.
          „One Can Only Hope And Wonder“: Teil der Film-Installation. : Bild: Maximilian von Lachner

          Die Filmfigur Odili steht für jene geraubte Kunst, die, auch in Deutschland, seit Jahren in der Diskussion um koloniale Raubgüter breiten Raum eingenommen hat. Die Benin-Bronzen, die 1897 von den Briten geraubt wurden, und von denen mehr als 1000 nach Deutschland gelangt sind, gehören seit 2022 Nigeria, auf dessen Staatsgebiet das einstige Benin liegt.

          Fünf Artefakte sprechen im Tanz

          Was mit diesen und anderen Artefakten zusammenhängt, was durch eine Restitution gewonnen wird und wie es um die Kultur und Traditionen ihres Landes steht, sind die Themen der Installation von The Critics Company – nur ganz anders, als man es womöglich erwarten würde.

          Es ist kein rückwärtsgewandter oder statischer Blick, den „We Can Only Hope And Wonder“ auf die Zeit richtet. Sondern ein selbstbewusster Blick in die Gegenwart und in die Zukunft, die, so signalisiert es diese Installation, die fünf mit gestalten wollen. Dafür setzen sie sich mit der schmerzvollen Geschichte ihres Landes und seiner Kultur auseinander und entwickeln daraus Neues.

          Nur fünf Artefakte, Zeugen der gewaltsamen Entwurzelung durch die Kolonialisierung, werden in der Installation erwähnt. Die Löwenfelle etwa, die blieben, als beim Bau einer Brücke durch die Briten zwei Tiere erschossen wurden, ein Vögelchen, Odili. Doch zu sehen sind keine Abbildungen, sondern schwarz-weiße Videoloops von Tanzimprovisationen, die gewissermaßen an die Stelle der Artefakte und der Geschichte treten – bewegt, auch strauchelnd, fallend.

          MMK-Direktorin Susanne Pfeffer mit einem Teil der Gruppe The Critics Company: Richard und Ronald Yusuff, Godwin Gaza Josiah, Raymond Yusuff (von links)
          MMK-Direktorin Susanne Pfeffer mit einem Teil der Gruppe The Critics Company: Richard und Ronald Yusuff, Godwin Gaza Josiah, Raymond Yusuff (von links) : Bild: Maximilian von Lachner

          Die Tanzloops, die groß aufgezogenen Stills, inspiriert von zeitgenössischen Filmgenres wie teilweise auch die Bilder des Films, der im zweiten Teil der Installation in einem mit einem Perlenvorhang abgetrennten zweiten Raum läuft, setzen im Blick auf die Geschichte bewusst auf das Voranschreiten in der Kunst – wie es das Leben im Eingangsgedicht tut.

          Mit Youtube-Clips berühmt geworden

          Von der eigenen Geschichte, der kulturellen wie der kolonialen, lerne man in Nigeria nicht viel, erläutern die jungen Künstler, die jetzt in Frankfurt ihre erste Einzelausstellung überhaupt eingerichtet haben. Sie kennen sich noch aus mit dem, was Schulstoff ist: „The Critics Company“ besteht aus den beiden Brüdern Josiah und ihren Cousins, alle sind sie zwischen 17 und 23 Jahre alt, studieren zum Teil, Mikrobiologie, Linguistik, Theater – und haben als junge Teenager, zum Teil vor gut zehn Jahren, mit dem Filmemachen begonnen.

          Erst erwachsen aus der gemeinsamen Kritik an den Nollywood- Klischees und all den amerikanischen Produktionen, die sie gemeinsam gesehen haben – daher der Name der Gruppe. Zunehmend als eigenständige Filmemacher, erst mit Handys und erfolgreich mit Youtube-Clips, Science-Fiction- und Thriller-Kurzfilmen, die im Netz große Klickzahlen erzielen und die Gruppe bekannt gemacht haben. Mittlerweile sind sie in großen Netzwerken ihrer Stadt und immer mehr in Richtung performativer und bildender Kunst unterwegs.

          Auch zur jetzigen Installation haben viele beigetragen – Polaroids an einer Wand dokumentieren jede Person. Auch das ist eine der Botschaften: Nichts tut sich allein, die Arbeit ist eine kollektive. Das Ergebnis ist vielschichtig, überraschend und ein buchstäblich junger Zugriff.

          ■ One Can Only Hope And Wonder Bis 30. Juli, MMK Hauptzollamt, Frankfurt, Domstraße 3, Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 19 Uhr.

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