Theaterabend beim Paartherapeuten
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Zeitlos: „Anna Karenina“ erzählt von der Unmöglichkeit individuellen Glücks unter den herrschenden Konventionen der Gesellschaft. Bild: Andreas Etter
Wer Tolstois 1000-Seiten-Roman auf einen Theaterabend herunterbrechen will, muss sich zwischen Liebesdrama und Gesellschaftspanormaa entscheiden. Regisseur Alexander Nerlich tut das im Staatstheater Mainz nicht.
Will man Lew Tolstois „Anna Karenina“, einem der berühmtesten, umfangreichsten und einflussreichsten Romane der Weltliteratur, böse, sieht man in ihm einfach eine Soap. Schließlich behandelt er die gängigen Themen: Ehebruch und Seitensprünge, verklemmte Liebhaber und frustrierte Frauen, Paare und Familien, alle miteinander verstrickt. Der Roman tut das nur auf der Oberfläche, das Menschelnde hält den Leser bei der Stange, während darunter und daneben sämtliche Themen der russischen Gegenwart am Ende des 19. Jahrhunderts verhandelt werden.
Wer das Epos von 1000 Seiten auf einen Theaterabend von drei Stunden herunterbrechen will, muss sich entscheiden, ob er sich auf das Liebesdrama der unglücklichen Titelfigur oder auf das Gesellschaftspanorama konzentrieren will. Wer aber, wie Alexander Nerlich am Staatstheater Mainz, von allem etwas präsentieren will, wer alle Geschichten anreißt und in kurzen Episoden vermitteln will, was die Hauptfiguren umtreibt, gerät nicht nur in seichtes Fahrwasser, sondern bietet dem Zuschauer auch keinen roten Faden, der die vielen losen Enden verbindet.
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