„Beethoven“ wird zum Film : Theater heißt fühlen, nicht nur verstehen
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Im leeren Staatstheater: Jan-Christoph Gockel probt Beethoven Bild: Maximilian von Lachner
Große Räume, lange Spiele, dringende Fragen: Der Regisseur Jan-Christoph Gockel hat eine ganz eigene Sprache. Nun wird aus seinem „Beethoven“ am Staatstheater Mainz eine Fernsehproduktion.
Die Katze ist jetzt aus dem Sack: Aus „Beethoven“ wird eine Fernsehproduktion. Am Samstag haben das Staatstheater Mainz und ZDF/3sat das gemeinsame Projekt bekanntgegeben, an dem seit Wochen gearbeitet wird. „Beethoven“, die große Musik-Theater-Produktion zum 250. Geburtstag des Komponisten, hätte schon am 3. Mai uraufgeführt werden sollen. Nun soll daraus etwas sehr Spezielles werden: ein Theaterabend, der gleichzeitig ein Film ist. Am 14. Juni ist Uraufführung – auf dem Bildschirm.
Ein Projekt, das die Theaterleitung um Intendant Markus Müller eingefädelt hat. Mit einem Regisseur, der solche Risiken schätzt. Jan-Christoph Gockel mischt Menschen und Puppen, Video und Live-Spiel, lässt in der Pause Suppe servieren oder geht mit Schauspielern auf Hawaii Plastikmüll sammeln. 1982 in Gießen geboren, aufgewachsen bei Kaiserslautern, inszeniert er in Frankfurt und Dresden, Oberhausen und Brüssel. Seit der Spielzeit 2014/15 ist er Hausregisseur am Staatstheater Mainz. Ein Glücksfall für alle Beteiligten, der Projekte wie „Meister und Margarita“ (2017) ermöglicht hat, eine Rundumbespielung des komplett umgebauten Kleinen Hauses, oder die fünf Stunden des Science-Fiction-Thrillers „Ljod – Das Eis“ (2019).
Verbindung von Kunstformen
Mit „Beethoven“ als Fernseh-Theaterproduktion sei er also „wieder bei meinem Lieblingsthema, der Verbindung von Kunstformen“, sagt Gockel. „Die Unmittelbarkeit und das Gemeinschaftliche, die Zuschauer, das fehlt ja sehr. Aber ich bin froh, dass ich etwas machen kann. Wir sind privilegiert. Viele meiner Kollegen können derzeit gar nichts tun.“ Aus dem unbedingten Wunsch aller Beteiligten, zur aktuellen Situation etwas beizutragen, sei das Projekt entstanden. „Es muss auch künstlerische Beiträge geben. Nicht nur Interviews und auch nicht das Private aus dem Wohnzimmer. Ich habe eine Sehnsucht nach Kunst und ästhetischer Auseinandersetzung“, sagt Gockel.
Kurz nach seinem ersten Kinofilm „Die Revolution frisst ihre Kinder“, entstanden aus einem Theaterstück, das wiederum als Theaterstück mit Filmelementen zwischen Burkina Faso und Graz spielt, kann er jetzt als Fernsehregisseur debütieren. Die Aufhebung der Grenzen in der Kunst, das war für Gockel schon immer eine politische Frage. Nun sind, in seinem jüngsten Vorhaben, zum Mythos Beethoven und dem Narrativ der Europäischen Union, mit denen er und sein Team zu Anfang gearbeitet haben, die aktuellen Fragen durch die Pandemie gekommen – im schon entworfenen Bühnenbild. „Der verlassene Vergnügungspark wird einfach weitererzählt“, sagt Gockel, ohne Publikum. „Uns war relativ rasch klar, dass wir keine Leute im Saal haben werden. Ein Geisterspiel ist ein theatrales Genre, kein sportliches. Bei uns geht’s wirklich um Geister.“
So soll, weg vom biographischen Panorama Beethovens, ein großes Erinnerungspanorama entstehen: „Ein Blick hinter die Kulissen unserer Kultur“, hofft Gockel. Der ertaubte Beethoven, isoliert wie viele heute, kommuniziert durch seine Musik. Was, wenn er der Europäischen Union heute untersagte, seine „Ode an die Freude“ zu nutzen, in diesen Zeiten neuer Grenzen? Wie Corona und Politik, Beethoven und sogar die wegen der Abstandsregeln einzeln aufgenommenen und dann von Generalmusikdirektor Hermann Bäumer dirigierten Musiker des Staatsorchesters zusammenkommen, daran wird noch getüftelt.