Filmfestival in Frankfurt : Heranwachsen in Japan
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Wer wollen wir sein? Das fragen sich auch Jun und Sae aus „What she likes . . .“. Bild: Filmszene/Shogo Kusano
Animes, Dokumentationen und Spielfilme: Mehr als 100 Kurz- und Langfilme aus Japan sind beim Nippon Connection Filmfestival in Frankfurt zu sehen.
Stellen Sie sich vor, Sie erfahren völlig überraschend, dass Sie einer Familie aus Ninja-Kämpfern entstammen, wie würden Sie reagieren? Diese Frage stellt sich der jungen Miu aus „Ninja Girl“. Sie lebt ein überschaubar interessantes Leben in einer japanischen Kleinstadt, arbeitet in der Stadtverwaltung und kümmert sich um ihren kranken Großvater. Als er, quasi auf dem Sterbebett, das Familiengeheimnis lüftet, zieht Miu erst mal los, besorgt sich schwarzen Stoff und schneidert eine ninjatypische Uniform für ihr neues Ich. Es gilt fortan, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und den Tod eines Freundes zu rächen. Der Independent-Film von Yu Irie, der als Europapremiere auf dem Nippon Connection Filmfestival gezeigt wird, changiert zwischen Satire und Actionfilm und lässt auch Gesellschaftskritik und das Thema Rassismus nicht aus. Wie die meisten Filme des Festivals ist er in Originalsprache mit englischen Untertiteln zu sehen.
Unter dem diesjährigen Motto „Stories Of Youth – Coming Of Age In Japan“ stehen Filme im Fokus, die vom Auf- und Heranwachsen in der japanischen Gesellschaft erzählen. Auf besonders einfühlsame Art gelingt dies dem Drama „What she likes . . .“ von Regisseur Shogo Kusano. Der Coming-of-Age-Film handelt von dem homosexuellen Teenager Jun und seinem Ringen um (Selbst-)Akzeptanz. Aus Angst vor einem Coming-out geht er eine Scheinbeziehung mit seiner Mitschülerin Sae ein, obwohl er eine Affäre mit einem verheirateten Mann hat. Der Film, der im Mousonturm als Deutschlandpremiere gezeigt wird, überzeugt vor allem durch das eindringliche Spiel des jungen Hauptdarstellers Fuju Kamio. „Der Film behandelt das Problem, sich zu outen, und spricht damit eine der gesellschaftlichen Herausforderungen in Japan an“, sagt Florian Höhr, bei Nippon für das Filmprogramm zuständig. Queere Themen abzubilden sei daher eines der Anliegen des Festivals.
Festival zeigt auch Dokumentationen und Animationsfilme
Wie in jedem Jahr hat das Team sowohl Werke renommierter Regisseure ausgewählt als auch Neuentdeckungen. Zur ersten Kategorie gehört der Langfilm „Wheel of Fortune and Fantasy“ von Regisseur Ryusuke Hamaguchi, der 2022 für „Drive my car“ den Oscar für den besten internationalen Film gewann. In Frankfurt ist sein Episodenfilm um drei Frauen zu sehen, der im vergangenen Jahr mit dem Silbernen Bären für die beste Regie bei der Berlinale ausgezeichnet wurde.
Neben Spielfilmen zeigt das Festival auch Dokumentationen, eine Retrospektive und Animationsfilme, darunter gleich zwei Werke, die virtuelle Welten und Künstliche Intelligenz thematisieren. Mamoru Hosodas Musical „Belle“ basiert lose auf dem Märchen „Die Schöne und das Biest“ und erzählt von der Schülerin Suzu, die in die virtuelle Welt „U“ eintaucht und dort als Sängerin Belle zum Star wird. Spaß macht vor allem die mitreißende Musik, wie auch in der Highschool-Musicalkomödie „Sing a bit of harmony“ von Yasuhiro Yoshiura, die zum ersten Mal in Deutschland gezeigt wird. Der Film um Shion, die als neue Mitschülerin für allerlei Trubel in ihrer Klasse sorgt, weil sie ein Roboter in der Testphase ist, eignet sich für die ganze Familie. Die jüngeren Zuschauer von sechs Jahren an werden nur den einen oder anderen philosophischen Gedanken nicht wahrnehmen.
Die Angreifer lässt Nishijima nicht zu Wort kommen
Sowohl der Spielfilm „A Balance“ als auch die Dokumentation „Target“ widmen sich dem Kampf von Journalisten um die Wahrheit. In „Target“ erhält der japanische Reporter Takashi Uemura Morddrohungen. Seine Gegner aus Japans nationalistischem Spektrum erzürnt eine Reihe von Artikeln, die Uemura in den Neunzigerjahren verfasst hat, als er eine Reportage über das Schicksal der Koreanerin Kim Hak-sun schrieb, die erste Frau, die öffentlich über ihre Erlebnisse als Zwangsprostituierte der japanischen Armee während des Zweiten Weltkriegs sprach. Sie stoßen eine Debatte über die Kriegsverbrechen an. 2014 steht Uemura im Zentrum einer geschichtsrevisionistischen Diffamierungskampagne. Japanische Nationalisten behaupten bis heute, die Frauen hätten freiwillig als Prostituierte für die Armee gearbeitet. Sie werfen ihm vor, Kims Geschichte erfunden zu haben – und schrecken auch vor persönlichen Angriffen nicht zurück. Der Regisseur der Dokumentation, Shinji Nishijima, befasste sich in den Neunzigern ebenfalls mit den sogenannten „Trostfrauen“. Er habe „Target“ drehen wollen, weil die Attacken gegen Uemura ein Angriff auf den gesamten japanischen Journalismus seien, sagte er dem südkoreanischen Fernsehsender KBS.
Seine Dokumentation zeichnet anhand von Uemuras Fall nach, mit welcher Vehemenz nationalistische Kräfte versuchen, ihr Verständnis der japanischen Geschichte durchzusetzen. Die Angreifer lässt Nishijima nicht zu Wort kommen – weil die japanische Geschichte nicht zur Debatte stehe. Zu gern hätte man jedoch gewusst, was sie zu den persönlichen Anfeindungen zu sagen hätten. Uemura gibt derweil nicht auf: „Ich werde meinen Stift weiter einsetzen, um für die Wahrheit zu kämpfen“, sagt er am Ende des Films.
Das komplette Filmprogramm gibt es auf www.nipponconnection.com.