Komponist Rolf Riehm : Lieber hören als reden
- -Aktualisiert am
Arbeit an einer neuen Komposition: Rolf Riehm in seinem Haus an der Frankfurter Paul-Heyse-Straße in Ginnheim. Bild: Lando Hass
Seine Werke sind aktuell und politisch, die Stoffe häufig antik: Der Frankfurter Komponist Rolf Riehm stellt seine neue CD vor.
Seine Musik könne jeder verstehen, findet der Komponist Rolf Riehm. „Durch Hören“, sagt er: „Nicht durch drüber Reden.“ Bei einem Gespräch bei ihm zu Hause im Frankfurter Stadtteil Ginnheim geht es um seine neue CD. Sie wirkt politisch hochaktuell, obwohl ihr Hauptwerk, „Fremdling, rede – Ballade Furor Odysseus“, eingespielt mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Peter Rundel, der Mezzosopranistin Gabriela Künzler und dem Sprecher Jochen Nix, schon 2002 geschrieben wurde. Es entstand unter dem Eindruck sich verdichtender Konflikte im Irak und in Afghanistan. Die behandelt Riehm so, dass sich beim Hören unwillkürlich eine Vielfalt an Interpretationen auftut, mit der man sich so glücklich fühlt, als habe ein Orakel einem die Augen für Dinge geöffnet, die man bis dahin nicht gesehen hatte. Die CD, die auch das 1994 veröffentlichte Werk „Double Distant Counterpoint“ enthält, ist bei Kreuzberg Records gerade erschienen.
Der 1937 in Saarbrücken geborene Riehm wuchs in Frankfurt auf, wo er Schulmusik, Theologie und Oboe studierte. Ein Kompositionsstudium bei Wolfgang Fortner folgte in Freiburg. Das Spielen verschiedener Instrumente von Orgel bis Saxophon scheint ihm als Sohn eines Organisten und einer Klavierlehrerin in die Wiege gelegt. Nach Stationen als Musiker und im Schuldienst kam er als Tonsatzlehrer an die Frankfurter Musikhochschule. Einer seiner Schüler war Heiner Goebbels, mit dem er zwischen 1976 und 1981 im „Sogenannten Linksradikalen Blasorchester“ spielte. Mit einer politischen „Indienststellung der musikalischen Tätigkeit“ hatte Riehm jedoch „nichts am Hut“. Eher damit, die „Ingredienzien, wodurch ein politisches Bewusstsein genährt wird, zur Verfügung zu halten“. Zu diesem Zwecke will er den „Wahrnehmungsapparat schärfen“ und die Intuition verfeinern.
Antike Stoffe im Fokus
„Ich nehme mir nicht vor, politische Musik zu schreiben“, sagt er: „Aber ich nehme meine Gegenwart unvoreingenommen und so differenziert und umfassend wie möglich wahr. Das formatiert meine kompositorische Phantasie. So ergibt es sich, dass die Musik dann mit den Belangen der Leute, mit öffentlichen Belangen zu tun hat.“ Preise wie der Premio Marzotto 1968 und ein Stipendium der Villa Massimo in Rom 1970/71 unterstrichen seine Nähe zum damaligen Zeitgeist. 2010 wurde er in die Berliner Akademie der Künste aufgenommen.
Immer wieder kreist Riehms musikalisches Schaffen um die antiken Mythen, deren Aktualität ihn bisweilen erschreckt. Besonders fasziniert ihn das Thema der Sirenen, das er seit seiner von Franz Kafka inspirierten Komposition „Das Schweigen der Sirenen“ (1987) und der 1994 in Stuttgart uraufgeführten gleichnamigen Oper immer wieder aufgreift. Der Gesang der Sirenen sei ein Glücksversprechen, sagt er. Wer sich auf ihn einlasse, werde gefressen, warnt Kirke und gibt Odysseus den Rat, die Ohren seiner Schiffsleute mit Wachs zu verschließen und sich von ihnen an den Mast seines Schiffes fesseln zu lassen. Im selbstbewusst kreativen Umgang mit der antiken Vorlage plaudert Riehm: „Der allwissenden Kirke war klar, dass es ihren geliebten Odysseus von ihr fort zu neuen Frauen drängte. Da war ihr Rat zu Wachs und Fesseln vielleicht nur ein Trick, um Odysseus von den Sirenen fernzuhalten.“ Vielleicht wusste Kirke aber auch schon, was bei Homer noch nicht steht: dass die Sirenen sich umbringen müssen, wenn ihnen ein Opfer entwischt. „Dann hätte Kirke mit ihren Ratschlägen an Odysseus ihre Konkurrentinnen beseitigt, ohne Hand anzulegen“, sagt Riehm und lacht.
Einladung zum assoziativen Hören
Lieber als über seine eigene Musik redet er darüber, wie er Bachs „Contrapunctus 11“ aus der „Kunst der Fuge“ empfindet: zentrifugal, als Raumerweiterung, als sich verändernde Statik, zutiefst körperlich also. Dazu passt, was er früher einmal über sein eigenes Komponieren gesagt hat: „Ich beobachte an mir selbst, welches Gesicht mache ich, was kontraktiert in mir, wo finden relaxations statt.“ Vorgänge, die er versucht, „in der Musik zu inszenieren“, und die sich auf unvoreingenommene Hörer möglicherweise eher übertragen als auf Menschen mit bestimmten Hörerwartungen. Riehms Musik ist so komponiert, dass sie zum assoziativen Hören einlädt. „Die Seele fühlt die Dinge nicht der Reihe nach, sondern kreuz und quer und in vielen Geschwindigkeiten gleichzeitig“, sagt er. Sind gravierende Probleme unserer Zeit nicht gerade dadurch entstanden, dass zu viele Menschen ihre Wahrnehmung auf bestimmte Ziele hin verengt haben? Riehm zeigt am Beispiel seiner Musik, dass Ziele und Raster ihnen eher im Wege stehen als nützen können. Auch darin liegt ein politischer Aspekt seiner Musik.