Kunstfreiheit als Grundrecht : „Weil wir als Theater verboten sind“
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Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Staatstheaters Wiesbaden, hat Videos veröffentlicht, die verschwörungstheoretische Elemente aufweisen. Bild: dpa
Der Intendant des Staatstheaters in Wiesbaden stellt „Solo-Diskurse“ mit Meinungen einiger hochumstrittener Mediziner ins Netz und erntet Gegenreden. Aus dem Umfeld des Theaters distanzieren sich Personen.
„Glückliche Tage“ wird seit dieser Woche am Staatstheater Wiesbaden geprobt. Mit 1,50 Meter Sicherheitsabstand, auf der Bühne des Großen Hauses und ohne zu wissen, wer das Stück wann sehen kann. „Weil wir als Theater verboten sind“, wie Intendant Uwe Eric Laufenberg in seinem Video zur Ankündigung des spontanen Projekts erklärt. Was, wie die jüngste Saisonpräsentation samt fixer Premierendaten, wie eine Trotzreaktion anmutet.
Laufenberg ist, in einer Doppelrolle, auch Regisseur der von ihm geplanten Beckett-Trilogie. Es ist nicht die einzige Doppelrolle, die er derzeit bekleidet. Seit dem 24. April sind auf der Internetseite www.staatstheater-wiesbaden.de und der Facebook-Seite des Theaters sukzessive sieben „Solo-Diskurse“ als Videos veröffentlicht worden, in denen Laufenberg „seinen sehr persönlichen Künstlerblick auf die gegenwärtige Krise gerichtet“ hat.
In Beiträgen mit Titeln wie „Die Geschichte des Virus, die Angst vor dem Tod und die Angst der Regierung vor dem Volk“ verwendet der Künstler Laufenberg nicht nur die Meinungen einiger hochumstrittener Mediziner zu der Frage, ob das Coronavirus überschätzt sei. Es finden sich zwischen reichlich Pathosformeln und Klassikerzitaten auch Mutmaßungen darüber, dass die Bundeskanzlerin nun die Gelegenheit habe, „auch diese Teile ihrer hasserfüllten und feindlichen Bevölkerung unter Quarantäne“ zu stellen, über „Herdenimmunität“ und Arterhaltung, die Opfer koste. Die mehrfach wiederholte Behauptung, das Grundgesetz sei wegen Corona „ausgesetzt“, bringt die Äußerungen auch in die Nähe derzeitiger meist rechtspopulistischer Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen.
Eine „Verzerrung der gesellschaftlichen Verträge“
Etliche Kommentatoren kritisieren die „Solo-Diskurse“, auch aus dem Umfeld des Theaters distanzieren sich Personen, sogar von Scham ist die Rede. Frank Hietzschold, Inspizient am Staatstheater und Vorsitzender des Personalrats, hat eine bemerkenswerte fünfteilige „Gegenrede“ zu Laufenbergs „Solo-Diskursen“ ins Internet gestellt. Er spricht darin über die Würde des Menschen, über Anarchie und Diktatur, kontextloses Betrachten des Grundgesetzes, Gesellschaftsverträge und „Macht und Verantwortung“.
Sein Engagement als Mensch und Mitarbeiter sei aus dem Umstand erwachsen, „dass ich von den Diskursen derart geschockt war, dass ich für mich eine Einordnung finden musste“. Er lese eine „Verzerrung der gesellschaftlichen Verträge“ in diesen „Solo-Diskursen“ Laufenbergs. Die „Gegenrede“ sei keine künstlerische, sondern eine staatsbürgerliche Aktion: „Als Demokrat kann ich das nicht unwidersprochen lassen.“ Etliche Kollegen hätten sich bei ihm gemeldet, die Reaktionen, die er erhalten habe, seien positiv – gewiss gebe es auch andere, so Hietzschold.
Das hessische Kunstministerium betont die Freiheit der Kunst und die Wichtigkeit künstlerischer Auseinandersetzung mit aktuellen Debatten. Gleichwohl hat es Bedenken auch der Theaterbelegschaft ernst genommen: „Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Herr Laufenberg in seiner Verantwortung als Intendant die Vorgaben der Landesregierung zum Infektionsschutz nicht einhalten würde. Gleichwohl haben seine Äußerungen bei Beschäftigten des Theaters, für die der Intendant eine Fürsorgepflicht hat, zu Verunsicherung geführt. Wir haben Herrn Laufenberg daher aufgefordert, den Beschäftigten gegenüber klarzustellen, dass es sich um seine persönliche Auffassung handelt und das Staatstheater Wiesbaden die geltenden Infektionsschutzmaßnahmen selbstverständlich beachtet. Das hat er getan“, heißt es dazu. Das Ministerium hatte noch in anderer Sache tätig werden müssen. Einem journalistischen Kritiker der „Solo-Diskurse“ hat Laufenberg eine rüde E-Mail zukommen lassen, was zu einem „Dienstgespräch“ mit Kunstministerin Angela Dorn (Die Grünen) geführt hat: Laufenberg habe mit der Mail gegen seine Pflicht verstoßen, das Theater angemessen zu repräsentieren.
Wenn er hingegen am selben Tisch, im Foyer des Theaters und sogar im selben Outfit wie bei der Beckett-Präsentation des Intendanten seine Monologe verliest, repräsentiert er das Theater nicht. Auch nicht, wenn er die Bereitschaft, für die Freiheit zu sterben, beschwört, um zu rufen: „Ich brauche kein Staatstheater, nehmt es zurück.“ Denn der Künstler Laufenberg, der zugunsten seines „Nächsten“ auf Beatmung verzichten möchte und daraus das Recht ableitet, sich trotz Corona frei bewegen und Theater spielen zu dürfen, genießt Kunstfreiheit. Nach Artikel 5 des angeblich „ausgesetzten“ Grundgesetzes.