Hermann-Nitsch-Ausstellung : Das nackte Dasein feiern
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Großes Arrangement: Hermann Nitsch bespielt die Aschaffenburger Jesuitenkirche Bild: Jessy Schmidt
In der Kunsthalle Jesuitenkirche in Aschaffenburg arrangiert Hermann Nitsch seine Werke aus 40 Jahren. Sich dabei „als Künstler aufzublasen“ liegt dem Mitbegründer des Wiener Aktionismus und früheren Professor an der Städelschule Frankfurt fern.
In der Kunsthalle Jesuitenkirche sind die Bezüge kaum zu übersehen. Es wirkt, als hätte Hermann Nitsch den profanierten Ort mit seinen Bildern wieder in einen sakralen Kirchenraum zurückverwandelt. Mit einem gewaltigen, gleichsam den Hochaltar in der Apsis vorstellenden Gemälde, mit zu beiden Seiten des Kirchenschiffs eingerichteten Seitenaltären, die mit Tragen markiert sind, wie man sie aus Nitschs Aktionen kennt. Und mit zahlreichen prächtigen Bouquets strahlend weißer Lilien, wie sie im Katholizismus und seit jeher bei den Alten Meistern für die Reinheit Mariens stehen.
Die Blumen, gab Nitsch nun der F.A.Z. im Gespräch vor der Eröffnung eine hübsche Anekdote preis, diese sich so trefflich ins Bild fügenden weißen Lilien hatte er aber gar nicht bestellt. Sondern Chrysanthemen. Na und? „Es ist wunderbar“, befand der Künstler strahlend. Liegt ihm doch ohnehin nichts ferner, als sein vornehmlich „ästhetisches Verhältnis zur Religion“ zu leugnen. Was dem mittlerweile 83 Jahre alten Mitbegründer des Wiener Aktionismus in den vergangenen sechs Jahrzehnten nicht nur den regelmäßig wiederkehrenden Vorwurf der Blasphemie und diverse Gefängnisaufenthalte eingebracht hat. Sondern, angesichts des schon mal archaisch anmutenden, mehrere Tage dauernden Orgien-Mysterien-Theaters, auf dem Boulevard auch noch den kaum schmeichelhaft gemeinten Titel eines „Blut-Professors“.
Die nackte Existenz feiern
Ein Ruf, den Nitsch, obwohl er in allen wichtigen Museen der Welt vertreten ist, trotz Documenta- und Biennale-Ehren, vor dem Hintergrund seiner regelmäßigen, Malerei und Performance, Musik und Ritual und große Oper zu einem Gesamtkunstwerk zusammenführenden Aktionen nie mehr losgeworden ist. Dabei war es Nitsch, der an der Frankfurter Städelschule lehrte, nie um Provokation um der Provokation willen zu tun. Nitsch geht es um die Kunst. Nichts sonst. Und auch zur Eröffnung in Aschaffenburg war der Künstler, obwohl derzeit etwas angeschlagen, erklärtermaßen nicht gekommen, um „mich als Künstler aufzublasen“.
Das hat er ohnehin nicht nötig. Vielmehr schätze er den Enthusiasmus des aus Aschaffenburg stammenden Gunther Jaegers, aus dessen umfangreicher Sammlung mit Arbeiten aus 40 Jahren Nitsch die Schau entwickelt hat. Es stimmt zwar, Chöre und Musik, Schlachtungen, Kreuzungen und das Malen mit Blut sind spätestens seit dem 6-Tage-Spiel auf Schloss Prinzendorf vor bald 25 Jahren aktionistischer – und skandalträchtiger – Teil des Orgien-Mysterien-Theaters. Als orgiastischer Ausdruck, die nackte Existenz zu feiern. In der Kunst wie im richtigen Leben. Und mithin auf Schloss Prinzendorf in Niederösterreich, wo Nitsch für das kommende Jahr noch einmal ein 6-Tage-Spiel vorbereitet, geradeso wie in einem Frankfurter Apfelweinlokal, wo man den Professor an der Städelschule seinerzeit gelegentlich mit seinen Schülern sitzen sah. 30 Jahre lang hat er dort gelehrt – obwohl ihm das Land Hessen die Berufung zum ordentlichen Professor verweigerte.
Nitsch aber will nicht den braven Bildungsbürger erschrecken. Und um Ekel oder Gotteslästerung ist es ihm schon gleich gar nicht zu tun. Im Gegenteil, Nitsch liebt die Kunst, und er verehrt die Alten Meister. Wer einmal mit ihm durch die Sammlung des Städel gegangen ist und staunend vor einem Holbein, einem Manet oder einem Corinth zu stehen kam, um „a bisserl schauen zu lernen in Richtung Wesen der Malerei“, kann daran keinen Zweifel hegen. Dabei, so machte er beim Rundgang durch die Jesuitenkirche klar, geht es ihm im Kern um nichts weniger als um Metaphysik. Und um die alte, schon von Leibniz aufgeworfene Frage, warum bloß überhaupt irgendetwas sei. Und nicht vielmehr nichts.
Ohne Form ist alles nichts
Daraus zieht Nitsch seine das nackte Dasein feiernden Konsequenzen. Und bringt sie Bild um Bild und Aktion um Aktion in mal befremdliche, mal vor allem malerische, immer aber überwältigende künstlerische Form. Denn ohne Form ist alles nichts. Als „ästhetisches Ritual der Existenzverherrlichung“ hat Nitsch denn auch das Orgien-Mysterien-Theater einmal charakterisiert. Und für seine Malaktionen, so zeigt die Ausstellung in der Jesuitenkirche, gilt das allemal. Dabei gibt es neben Ausschnitten der aktuellen, von Nitsch ausgestatteten Inszenierung der „Walküre“ in Bayreuth lediglich drei Dutzend großformatige Gemälde zu sehen. Und nicht eine der gefilmten Aktionen.
Doch angesichts des gewaltigen, für die im August zu Ende gegangenen Bayreuther Festspiele entstandenen Schüttbilds in der Apsis; angesichts der frühen „Grablegung“ oder des 1983 entstandenen „Letzten Abendmahls“ und keineswegs zuletzt angesichts all der prachtvollen, aus der Sammlung Nitschs stammenden liturgischen Gewänder, die hier die Leinwände flankieren und ihr Echo in den Malhemden des Künstlers finden, kurzum: angesichts der formalen Setzungen des Künstlers lässt es sich schlechterdings nicht übersehen. Er wolle, dass seine Aktionen zutiefst schön seien, hat er einmal gesagt, und mehr noch: „Ich will so etwas Schönes machen wie den Isenheimer Altar.“ Und gleich, ob Lilien oder Chrysanthemen hier den Blumenschmuck vorstellen: Man muss nicht einmal katholisch sein, um zu verstehen, was er damit meint.
Die Schau in der Kunsthalle Jesuitenkirche, Aschaffenburg, Pfaffengasse 26, ist bis 27. Februar dienstags von 14 bis 20 Uhr, mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Ein Katalog ist in Vorbereitung.