„Ghost Hunting“ in Frankfurt : Das Rauschen der Stadt
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Daten, Dichter, Denker: Zwischen Geld und Geist liegen die Geister, „Ghost Hunting“ führt sie dem Flaneur mit seinem Smartphone zu. (Archivbild) Bild: Felix Schmitt
Maske auf und durch: Das Künstlerduo 431art führt mit einer Audiotour zum „Ghost Hunting“ durch die Frankfurter Innenstadt. Besonders bei Nacht kann man die Stadt mit ihren Geister neu erleben.
Ohne Smartphone geht nichts. Was schon seltsam komisch ist. Immerhin existiert die Welt der Geister und Gespenster, jedenfalls soweit man derlei wissen kann, nicht erst seit Erfindung des tragbaren Telefons. Aber gut, wir wollen mal nicht kleinlich sein bei unserer ersten Geisterjagd, auf die wir uns gerade einzustimmen suchen. Immerhin wollten paranormale Begegnungen, sei es beim Tischerücken, sei es mit dem Fotoapparat dem Unbekannten auf der Spur, seit jeher schon gut vorbereitet sein. Und ohne Internetverbindung, die den als „Ghost Hunting“ apostrophierten Audiowalk durch die Frankfurter Innenstadt überhaupt erst möglich macht, geht nun mal nichts beim neuesten Projekt von Haike Rausch und Torsten Grosch, die seit mehr als 20 Jahren schon als 431art gemeinsame künstlerische Sache machen.
Zugegeben, man kann sich den Parcours, der von der Zeil über das Museum für Moderne Kunst und in die neue Altstadt, an die Hauptwache und über den Goetheplatz zum Schauspiel führt, auch auf Papier ausdrucken lassen. Oder sogar einfach zu Hause am Computer sitzen bleiben. Nur fehlen dort nun mal all die Bilder, Töne und Geräusche, fehlt kurzum die Atmosphäre, die aus „Ghost Hunting“ nicht nur zur Geisterstunde einen durchaus sinnenfreudigen Spaziergang macht. „Wie im Winter, wenn es geschneit hat“, sei vor allem nachts die Stimmung in den Straßen, hatte Grosch versprochen. Und tatsächlich ist es, da wir gegen Mitternacht die Konstablerwache queren, seltsam still. Und einsam.
„Sprich mit den Geistern“
Als herrsche statt des Lockdowns auch in Frankfurt schon Ausgangssperre. Was in einer Stadt, die, wenn schon nicht gleich niemals wie New York, so doch allenfalls mal eine kleine Runde schläft, durchaus ein wenig irritierend ist. Die Geschäfte zu, die Restaurants und Kneipen ohnehin geschlossen, es lässt sich auf der Zeil kaum eine Menschenseele blicken. Vielleicht, mögen sich beinahe schon ein wenig bange ängstliche Gemüter denken, vielleicht hätten wir doch auf die Profis hören sollen. Doch andererseits, was will man machen? 117 Millionen Einträge meldet die Suchmaschine, gibt man zur Vorbereitung auf die Geisterjagd „Ghost Hunting“ als Stichwort ein. Wer soll die alle lesen? Und wer mag für bare Münze nehmen, was ein kurzer Klick dem Neuling auf seinem Weg ins Zwischenreich ganz ernsthaft rät?
„Gehe niemals allein los“, wird einem da eingeschärft, „Sprich mit den Geistern“ oder auch: „Sprich ein Gebet“. Allein, so leicht wird man die gerufenen Geister nicht mehr los. Stattdessen raunen sie nun dem nächtlichen Flaneur ins Ohr. „Masse. Strom. Konsum. Schwarmintelligenz“, sagen sie und schicken ein Rauschen, Dröhnen, Knattern wie von des bösen Nachbarn Rasenmäher hinterher. Was, wie 431art versichern, nicht Poltergeistern, Kobolden und kettenrasselnden Gespenstern geschuldet, sondern elektromagnetischen Feldern abgelauscht sei, die gerade hier in Frankfurt, in der Stadt mit dem größten Internetknoten der Welt, im Grunde überall zu finden seien. Im Umfeld von Ladestationen etwa, von Computern und Spulen, E-Rollern, Sendemasten oder Straßenbahntrassen.
Geschärfte Sinne
„Ghost Hunting“ macht sie, an jeder der Stationen selbst aufgenommen und dann neu gemischt, auch für das menschliche Ohr wahrnehmbar. Was, angereichert mit ein wenig Wikipedia-Wissen, allemal erhellend ist. Und vor allem ziemlich laut. Mal klingt es, als ob die Nadel unseres Plattenspielers hänge, mal, gerade vor dem Schauspiel, als sei die Spielzeit nicht bloß unterbrochen, sondern als hätten Bagger, Bohrer, Presslufthämmer mit dem Abriss des Theaters jetzt schon, allen Sanierungsdebatten zum Trotz, begonnen. „Maske auf und durch!“, lässt an der Fassade derweil das Ensemble wissen. Und jaulend fährt eine menschenleere Straßenbahn durchs Bild. An der Hauptwache, dem „Schwarzen Loch“ inmitten dieser Stadt, wie unser Smartphone sie nennt, fährt uns ein E-Roller fast über den Haufen, auf dem Römer steht der Weihnachtsbaum trauriger noch als letztes Jahr im Dunkeln, und in der Hasengasse ruft die Geisterstimme aus unserem Kopfhörer die Engel unserer Tage an: „Alexa, Siri, Cortana“. Unheimlich wird man „Ghost Hunting“ deshalb nicht gleich nennen wollen. Merkwürdig aber ist dieser zu jeder Tageszeit mögliche Adventsspaziergang allemal. Und sei es bloß, weil er, vor allem im Dunkeln, die Sinne schärft für jene Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen man seit jeher weiß, die man indessen in „normalen“, geschäftigeren Zeiten kaum bemerkt.
„Daten, Dichter, Denker“, flüstert nun die Stimme am Goetheplatz in unser Ohr, und wieder hebt ein großes Dröhnen und Wimmern, Rauschen und Zirpen an, als wollten die olympischen Gespenster dem nächtlichen Flaneur womöglich doch noch etwas sagen. Nur was? Und welches Feld bloß haben wir gerade unbedacht betreten? „Ihr seid noch immer da!“, mag man, Auge in Auge gleichsam mit dem bronzenen Dichterfürsten, stattdessen diesem Spuk begegnen. „Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!“ Freilich, „das Teufelspack“ fragt schon im „Faust“ nach keiner Regel. Und lässt sich auch von Goethes Versen nicht vertreiben. Träumten wir, jetzt setzte Schneefall ein. Am Ende aber ist es doch bloß still.
„Ghost Hunting“
läuft bis 10. Januar. Ein Flyer mit Lageplan liegt etwa in der Tourismusinformation am Römer aus. Weitere Informationen im Internet unter ghosthunting-ffm.431art.org