Frankfurter Römrberggespräche : „Mitmachkrieg“ der Bilder
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Unter goldenen Wolken: Im Chagallsaal im Schauspiel Frankfurt widmeten sich die Römerberggespräche dem Krieg in der Ukraine. Bild: Jens Gyarmaty
Mea Culpa allein reicht für die Zeitenwende nicht: gefordert sind Aufklärung, Nachdenken und ein anderes Handeln. Die Frankfurter Römerberggespräche widmen sich dem Ukraine-Krieg.
Die Schlange am Morgen ist lang vor dem Chagallsaal des Schauspiels. Und es sind, neben den üblichen wackeren Stützen der kulturaffinen Stadtgesellschaft, auch etliche junge Gesichter darunter. Weil bisweilen im Lauf des Tages nicht alle einen Platz finden können im dicht besetzten Saal, sitzen einige vor der Tür. Und es wird zugehört mit einer Aufmerksamkeit, die man sonst selten hat.
Dass es bei diesen 51. Römerberggesprächen um etwas Elementares, unmittelbar uns alle Betreffendes geht, könnte man allein schon an dieser Atmosphäre spüren. Es ist mucksmäuschenstill, bisweilen gibt es starken Zwischenapplaus. Unter anderem, als die Journalistin und Ukraine-Fachfrau Alice Bota, die regelrecht entwaffnend von ihrer mehrjährigen Arbeit dort sprach, sagt: „Zu glauben, dass die Ukraine und diese Grenzüberschreitung die letzte wäre, ist vor dem Hintergrund der vergangenen Jahre naiv“.
Ihr schon seit 2014 verspürtes Entsetzen darüber, wie Deutsche über die Ukraine als „Pufferzone“ sprechen, „als wäre sie nicht im Raum“, und ihre Kritik an Belehrungen wird flankiert von ihrem klugen ukrainischen Gesprächspartner Jurko Prochasko, Psychoanalytiker und Kulturwissenschaftler, der nicht im Raum ist – sondern aus seiner Lemberger Wohnung zugeschaltet.
„Nie wieder Frieden?“
Prochasko seziert die Lage in der Mischung seiner beiden Professionen: „Die deutsche Postkriegsidentität wurde auf der Schuld gegründet. Ich frage mich, ob nicht große Teile dessen, was traditionell als deutsche Schuld firmiert, in Wirklichkeit nicht deutsche Angst ist.“ Die Verantwortung des Westens, der die Ukraine nicht in ihren europäischen Strukturen hatte haben wollen, bestehe nun darin, „uns nicht auszuliefern.“
Schuld, Fehler, Haltungen, die überprüft werden müssen, spielen eine große Rolle auch im einführenden Vortrag und den Erläuterungen des Osteuropa-Historikers Karl Schlögel. Der „Russenkitsch“, die Geschäfte und die Nationenbildung der Ukraine, ein „kleiner, niederträchtiger Diktator“, der versucht, ein aufstrebendes Land „ins historische Abseits“ zurück zu bomben, hängt, das legt Schlögel in Schlaglichtern dar, mit uns zusammen.
„Nie wieder Frieden?“, fragen die Römerberggespräche und Moderator Alf Mentzer erinnert an die Gespräche 2014 unter dem Titel „Wieder Krieg?“, als nach der Annexion der Krim Verständnis für das „Sicherheitsbedürfnis“ Russlands geäußert wurde. Diesmal, da in Beiträgen wie dem des vor kurzem aus Moskau nach Brandenburg emigrierten Autors Viktor Jerofejew auch die Rolle des aggressiven Rüpels „Gopnik“ aufscheint, der als Schurke im Schurkenstaat fungiert, bekommt das Publikum vom Frankfurter Völkerrechtler Stefan Kadelbach und dem Historiker Adam Tooze, zugeschaltet aus New York, einen Überblick über Völkerrecht, das Potential von Sanktionen und geschichtliche Vorläufer. Wie Sanktionen, Krieg und Recht zusammenhängen, und wie eine anders als derzeit gut ausbalancierte Mischung aus Abschreckung und Verflechtung aussehen könnte nach der „Null“ dieses Krieges, skizziert die Frankfurter Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff.
Kein Gespräch mit den Zuschauern
Es ist der Abschluss eines ganztägigen Crashkurses in Aufklärung, Bewusstseinsbildung, Schärfen der Wahrnehmung für den Krieg der Bilder, für kulturpolitische Räume, für die postsowjetischen Gesellschaften und die Migration nach Deutschland. Nicht nur dieses Feld, aufgerollt von Jannis Panagiotides, segelt dann allerdings doch bisweilen haarscharf an Gemeinplätzen vorbei. Sie müssen, wie all die Fragen, die das Publikum sichtlich bewegen, hier undiskutiert bleiben. Denn neben den Vorträgen und Nachgesprächen der bestens vorbereiteten Moderatoren Hadija Haruna-Oelker und Mentzer mit ihren Gästen gibt es, anders als der Titel nahelegt, kein Gespräch bei den Römerberggesprächen.
Der „Mitmachkrieg“ aber, dessen Bilder und Dilemmata in den sozialen Medien die Kunstwissenschaftlerin Charlotte Klonk zeigte, fordere jeden auf, an seinem Platz zu tun, was man könne. Man darf das, nach dem langen, dichten Tag der Römerberggespräche, wie schon vor einigen Tagen nach den Debatten beim Filmfestival Go East, auch als Aufforderung verstehen, sich weiter zu bilden und auseinanderzusetzen. Dass die Veranstalter versprechen, die 51. Römerberggespräche zum Nachschauen auf Youtube zu veröffentlichen, gehört auch dazu.