Exground Filmfestival : Mika, Robin und die anderen
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Klassische Filmrolle: Konkurrenz durch digitalen Film Bild: ddp
Existentielles, Animiertes: Beim Exground Filmfest in Wiesbaden wurden die besten deutschen Kurzfilme mit Preisen ausgezeichnet. Die jungen Filmemacher beschäftigten sich in ihren Werken verstärkt mit brisanten gesellschaftlichen Fragen.
Das Telefon klingelt. Wieder einmal. Und in Susannes Job verheißt das selten etwas Gutes. Verrückte, Vereinsamte und potentielle Selbstmörder, das ist der Alltag bei der Telefonseelsorge. Doch mit ihrer Routine als Sozialarbeiterin und Psychologin, als Beichtmutter der Verzweifelten dieser Welt kommt sie hier nicht weiter. Denn Thomas, sagt der Mann am anderen Ende der Leitung, hat soeben seine Frau getötet, erlöst, wie er es formuliert, von ihrem jahrelangen Leiden, vom Krebs, der Lena buchstäblich zerfraß. Und darauf ist Susanne nicht gefasst. Das ist der Auftakt zu Markus Sehrs dichtem, 15 Minuten kurzem Kammerspiel „Absolution“, das jetzt zum Abschluss des 21. Exground Filmfestes im Rahmen des Deutschen Kurzfilm-Wettbewerbs zu sehen war.
Dass der auf 35 Millimeter gedrehte und mit Nina Petri und Hans-Jochen Wagner prominent besetzte Kurzspielfilm am Ende leer ausging in der wie stets in Wiesbaden vom Publikum entschiedenen Konkurrenz, hatte indes wohl weniger damit zu tun, dass die katholische Kirche auf ihren finanziellen Segen – soll heißen: 1.000 Euro Zuschuss zu den Produktionskosten – für das Sterbehilfedrama verzichtete, weil ihr das Ende nicht behagte. Womöglich lag es schlicht am Thema, am Genre auch. Denn kaum je hat man in der 16 Jahre währenden Geschichte dieses Preises eine solche Fülle von Filmen sehen können, die sich mit Krankheit und Alter, familiärer Gewalt und Tod, kurz: mit ebenso anrührenden wie existentiellen Fragen auseinandersetzten.
Siegerfilm aus Potsdam
Und nur einer war den Zuschauern am Ende einen Preis wert. Das aber fraglos zu Recht. Denn einen solchen, geradezu körperliche Pein verursachenden Film wie Hanno Olderdissens zweitplazierten und mit 2.000 Euro bedachten „Robin“ über einen Jungen in den, nun ja, schwierigen Verhältnissen einer Präkariatsfamilie hat man lange nicht gesehen. Dass derweil manch ein Beitrag wie „I don’t feel like dancing“ der beiden Potsdamer Filmstudenten Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf schlicht zu viel wollte und letztlich an seinem eigenen Anspruch scheiterte, dass Grzegorz Muskalas ebenso lakonische wie genaue Alltagsbeobachtung des mit der familiären Situation zu Hause überforderten Mika in „Mein Vater schläft“ ebenso ohne Auszeichnung blieb wie Jutta von Stieglitz-Yousufys Asylantenklamotte „Dinner for four“, sei’s drum.
Dass aber junge Filmemacher sich verstärkt mit brisanten gesellschaftlichen Fragen beschäftigen, ist nichtsdestotrotz ein bemerkenswerter Trend, der bei zahlreichen Festivals in diesem Jahr kaum zu übersehen war. Das galt, naturgemäß mit Abstrichen, auch für die eine oder andere der traditionell zahlreich im Wettbewerb vertretenen Animationen, für Carsten Strauchs amüsanten, eigentlich als Trailer für eine Trickfilmserie à la „Türkisch für Anfänger“ gedachten Beitrag „Das grüne Schaf“ ebenso wie für „Die schiefe Bahn“ von Jim Lacy und Kathrin Albers. Doch statt der glänzend gemachten „Stop Motion“-Satire auf Gangsterkomödie und die Privatisierung der Bahn gleichermaßen – eine Kombination, die eigentlich kaum zu schlagen schien, am Ende aber auf dem dritten Platz landete – konnte Pauline Kortmann die vom Kulturamt der Stadt Wiesbaden gestifteten 3.000 Euro für den Siegerfilm mit nach Hause und nach Potsdam nehmen.
Herausragender Kurzfilm
Eine grandiose Wahl. Zeichnete das fachkundige Publikum mit „Chicken Wings“ doch nicht nur einen eminent komischen, sondern auch einen ganz klassischen, mit der Hand gezeichneten und vergleichsweise schlicht daherkommenden Vordiplomfilm aus, der es zunächst überaus schwer zu haben schien in der Konkurrenz mit technisch aufwendig produzierten Computeranimationen und Kurzspielfilmen. Daneben war es mit Jörn Staegers schon erfolgreich auf der Berlinale und in Oberhausen gezeigter „Reise zum Wald“ ein Experimentalfilm, der zu den stärksten unter den zehn Beiträgen des Wettbewerbs gehörte. Und wie „Absolution“ am Ende bedauerlicherweise leer ausging.
Und doch gehörte der Avantgardefilm zu den Gewinnern des Festivals. Denn nicht nur, dass Tim Bollingers schon mit dem Hessischen Hochschulfilmpreis ausgezeichnetes Werk „Between“ – sein Abschlussfilm an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung – den Wettbewerb um den „Wiesbaden Special“-Preis für sich entscheiden konnte. Mit Marion Pfaus’ „16:9 Full HD“ gewann einer der herausragenden Kurzfilme des Festivals überhaupt den von Jahr zu Jahr stärker werdenden „On-Video-Wettbewerb“ für digitale Produktionen.
Komische Satire
Ein „Avantgardefilm mit hohem Unterhaltungswert“, wie die Jury bei der Vergabe des ausgelobten Preisgeldes von 1.500 Euro zutreffend befand, eine „Hommage auch an den erziehungswissenschaftlichen Lehrfilm“ ist dieser nachgerade klassische Autorenfilm sowie eine realsatirische Analyse des eigenen Mediums. Und all das, ohne sich an der Fülle der Einflüsse und Ambitionen zu verheben. Vor allem aber gelingt Pfaus, was nicht gerade als Stärke des klassischen Experimentalfilms gilt und woran im Übrigen viele jüngere Filmemacher scheitern: eine formal großartig gemachte Satire, die nicht einfach lustig, sondern wirklich komisch ist. Und ein Film, den man im kommenden Jahr mit Sicherheit auf zahlreichen Festivals wiedersehen wird.