Kunsthaus Wiesbaden : Der Atem der Ringkirche
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Stadtansicht mit Kehrmaschine: Ankabuta arbeitet im Kunsthaus Wiesbaden an ihrer Drahtinstallation Bild: Gregor Schuster
Die Künstlerin Ankabuta nimmt Wiesbadener Wahrzeichen die Schwere. Eine Ausstellung präsentiert die in Seoul und Kassel ausgebildete Christa-Moering-Preisträgerin im Kunsthaus.
Die Ringkirche schwebt. Auf der zentralen Wand der Kunsthalle Wiesbaden erhebt sich das städtische Wahrzeichen mittig über einem etwas zittrigen Panorama aus mehrgeschossigen historischen Häuserfassaden. Die grauen Linien, die Türmen, Türmchen, dem mit Rosettenfenstern geschmückten Haupteingang und anderen charakteristischen Details des protestantischen Gotteshauses Kontur geben, wirken zunächst zwar wie eine Bleistiftzeichnung. Aber bei näherem Hinsehen erkennt man zarte Schatten, die verraten, dass sich das großflächige Motiv wenige Millimeter über dem Untergrund ausbreitet. Tatsächlich hat Ankabuta die Ringkirche nicht mit Bleistift, sondern mit Draht „gezeichnet“. Den gelben, neoromanisch massigen Sandsteinmauern des Zentralbaus nimmt die 1980 in Korea geborene Künstlerin damit nicht nur die Schwere. Eine Kehrmaschine, die ebenfalls zur Komposition gehört, auf einer makellos weißen Fläche aber keine wirkliche Aufgabe hat, ironisiert auch die Erhabenheit des Gebäude-Ensembles.
Inszenierung des Sohns
Ankabuta, die bürgerlich Songie Seuk heißt und sich nach dem arabischen Wort für weibliche Spinne benannt hat, wurde in Seoul und Kassel ausgebildet und lebt seit Längerem in Wiesbaden. Ihre aktuelle Ausstellung ist verbunden mit dem Christa-Moering-Stipendium, das ihr die Stadt im vergangenen Jahr zuerkannt hat. Seither hat die Künstlerin vor allem die örtlichen Architekturdenkmale auf ihre Tauglichkeit als touristische Werbe- und Kalenderblatt-Motive überprüft. So fallen bei den Drahtversionen der Portale unter anderem von Kurhaus, Theater, Biebricher Schloss viele antikisierende Säulen ins Auge, und man muss schon sehr genau hinschauen, um diese aus ihrem Kontext gelösten Gebäudeteile nicht miteinander zu verwechseln.
Ankabutas Interpretationen der Wiesbadener Vorzeigebauten „atmen“ eine für die Historismus-Stadt Wiesbaden untypische Leichtigkeit und erklären damit auch den Ausstellungstitel. „Atem“ lautet er und erschließt sich noch unmittelbarer angesichts der Porträtserie, die den schlafenden Sohn der Künstlerin zeigt und seit dessen Geburt vor drei Jahren quasi täglich wächst. 150 unchronologisch gereihte Blätter, die eine weitere Kunsthallen-Wand füllen, legen den Fokus nicht unbedingt auf das Wachstum des Kindes. Vielmehr erscheint Schlaf als das auf den Atem reduzierte Leben. Leerstellen, die sich zwischen den einzelnen Porträts bisweilen auftun und auf diese Weise den natürlichen Atemrhythmus in die Bildreihen aufnehmen, verstärken diesen Eindruck.
Naturgemäß nehmen Ankabutas aktuelle Arbeiten den breitesten Raum ein. Sie offenbaren freilich eine direkte Verwandtschaft mit jenen so kleinteiligen wie expansiven Installationen, deren Herstellung größte Akribie und Hingabe erfordert und mit denen die Künstlerin vor gut zehn Jahren bekannt geworden ist. Unter anderem bevölkerten 15.000 Ameisen ganze Museumsräume und entstand ein Himmel aus knapp 8000 Nadeln. Eine nicht mehr zu benennende Zahl von kaum fingernagelgroßen Alu-Sternen indes füllt in Wiesbaden keine Vitrinen mehr, sondern große Plastiksäcke und wird zur Reminiszenz an jene Werkphase.
Ein spezieller Humor
Streng genommen handelt es sich bei der Ausstellung um eine Retrospektive. Zu den Exponaten gehört sogar ein frühestes Video aus Studienzeiten. Es zeigt die Künstlerin, die mit ihren Fußspuren ein Labyrinth in den verschneiten Hochschulhof zeichnet. Ein wunderbares Pendant stammt aus jüngster Zeit. In diesem Video sieht man ihren Sohn, der – nach seinen Möglichkeiten – einen Hof kehrt. Weniger als um das überfrachtete Mutter-und-Kind-Thema geht es in dem Double einfach um zwei in einem Hof beschäftigte Menschen. Mit Blick auf den Hof des Kunsthauses hätte es nicht passender platziert werden können.
Nicht zuletzt fällt Ankabutas Werk durch seinen speziellen Humor auf. Selbst beim Porträtieren ihres Sohnes hat sie einmal den realistischen Weg verlassen und den Cartoon eines Babys in die Bildreihen geschmuggelt, das sich selbst ins Gesicht pinkelt. Noch deutlicher tritt dieser Hintersinn bei kleinen Eingriffen in großem Raum zutage. So weiß man zum Beispiel nicht, ob es sich bei den Figürchen, denen man auf Feuermeldern, über Notausgang-Schildern oder anderen gebäudetechnischen Details begegnet, um Engel oder merkwürdig subversive Wesen handelt. Mithin steht Ankabuta in der Reihe der wenigen Künstler wie Erwin Wurm oder Fischli/Weiss, bei denen sich Witz und Substanz nicht ausschließen.
■ „Ankabuta. Atem“ im Kunsthaus Wiesbaden, Schulberg 10, ist bis zum 26. Februar 2022 dienstags, mittwochs sowie freitags bis sonntags jeweils von 11 bis 17 Uhr und donnerstags von 11 bis 19 Uhr geöffnet. Das Kunsthaus Wiesbaden macht vom 23. Dezember 2021 bis 3. Januar 2022 eine Weihnachtspause. Von Dienstag, 4. Januar, an ist es wieder geöffnet.