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Deutscher Kleinkunstpreis : Als Uschi Glas noch Winnetous Cousine war

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Ganz Deutschland liegt in Agonie darnieder. Und wenn sich auch dieses Mal die Prominenz der Kleinkunst aufmachte zur Verleihung der begehrten Unterhausglocke im Mainzer "unterhaus", dann hat das einen simplen Grund: die berechtigte Hoffnung auf einen Kabarettabend, der diesen Namen verdient.

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          Machen wir uns nichts vor. Ganz Deutschland liegt in Agonie darnieder, das Vertrauen in Politik, Wirtschaft und nicht zuletzt den Fußball ist dahin, und keiner will's gewesen sein. Und selbst dem guten alten deutschen Kabarett, will es bisweilen scheinen, sind Mumm, Esprit und Relevanz ein wenig fremd geworden. Ausnahmen aber bestätigen seit jeher die Regel. Und wenn sich auch dieses Mal wie in jedem Jahr die Prominenz der Kleinkunst aufmachte zur Verleihung der begehrten Unterhausglocke im Mainzer "unterhaus", dann hat das einen simplen Grund: die berechtigte Hoffnung auf einen Kabarettabend, der diesen Namen verdient. Vor allem aber, glaubt man Frank Markus Barwasser alias Erwin Pelzig, dem Moderator des fröhlichen Abends, kann man dieser Jury, im Gegensatz zu, sagen wir, den Schiedsrichtern, vorbehaltlos vertrauen.

          "Unabhängig, unbeeinflußbar, nicht käuflich", so das unbestechliche Urteil des Preisträgers aus dem vergangenen Jahr, weshalb die Entscheidung immer schon als Indikator für die Befindlichkeiten des Genres gelten kann. Seit Hanns Dieter Hüsch 1972 die Auszeichnung als erster entgegennehmen durfte, gilt der mit 20000 Euro dotierte und in den Sparten Kabarett, Kleinkunst sowie Chanson/Lied/Musik vergebene Deutsche Kleinkunstpreis als der unbestritten bedeutendste seiner Art. Die Stadt Mainz steuert einen Förderpreis bei, und nicht selten darf der so Geehrte sich Hoffnung machen auf allerhöchste Weihen. Lisa Politt etwa, schon vor 14 Jahren gemeinsam mit ihrem Partner von "Herrchens Frauchen" ausgezeichnet, erhielt in diesem Jahr die Glocke in der Sparte Kabarett.

          "Eine Überzeugungstäterin", wie die Jury urteilte, die, wie sie sogleich unter Beweis stellte, darauf beharrt, daß das politische Kabarett nach wie vor seine Berechtigung hat. Und die als enttäuschte Linke zunächst mit den Grünen abrechnet ("Ich hätte nie gedacht, daß auch ich eines Tages sagen würde, ich wäre nie in der Partei gewesen"), um anschließend dem ganzen Saal einen gehörigen Schrecken einzujagen: eine Glanznummer, Politts aus Originalzitaten des Fernsehens collagierte Erzählung einer Reise nach Königsberg, harmlos fast und anrührend sich tastend durch die Geschichte und den Begriffsdschungel von verlorener, irgendwie deutscher Heimat, von Dresden und Frauenkirche, Bombenterror und deutschem Widerstand.

          Bis am Ende, fast unmerklich, alles eins ist und eingeebnet im hehren Gerede von den Tätern als Opfern und notwendigem Vergessen, und nichts mehr bleibt von der Vergangenheit als der schlichte Satz von den dunklen, schweren Zeiten, damals. Totenstill wird es im "unterhaus", aber nein, sie wird kein Angebot seitens der Vertriebenenverbände annehmen: "Sie müssen Verständnis haben, ich muß den ganzen Dreck auch wieder loswerden." Das, darf man annehmen, verbindet das Kabarett Lisa Politts mit dem scheinbar so beiläufigen Parlando Hagen Rethers, der den Förderpreis erhielt. Wie ein Barpianist klimpert er im schicken Dreiteiler vor sich hin, plaudert ein wenig über seine Heimatstadt Essen, die fernen Zeiten, als Uschi Glas noch die Cousine von Winnetou war, oder über die Vorteile des Sitzpinkelns. Freilich: Der Baseballschläger, den er gleich zu Beginn auf den Flügel legt, hätte mißtrauisch machen sollen.

          Wenn er einfach nur den Kopf schüttelt angesichts der Vorstellung des "Musikantenstadls" in Dubai, beiläufig die Jacke ablegt und eine rotweiße Armbinde mit dem stilisierten "A" des Arbeitsamts zum Vorschein kommt ("Die Stoff gewordene Stoiberrede pünktlich zum 60. Jahrestag") und dabei zugleich den Vorwurf des Zynismus mit schlagenden Argumenten kontert, dann ist rasch klar, daß von diesem jungen Mann noch zu hören sein wird. Dagegen präsentierte sich der in der Sparte Kleinkunst ausgezeichnete und unter dem Namen Gunkl bekannt gewordene Wiener Günther Paal im "unterhaus" vornehmlich als Sprachkünstler, dem, wie die Jury befand, "der Brückenschlag zwischen großen Naturgesetzen und kleinen Tücken des Alltags grandios gelingt".

          Das ist bisweilen hanebüchen, immer wieder sehr gescheit in seiner Vertracktheit und vor allem durch und durch wienerisch. Und nicht zuletzt: Wie sollte man vor einem Kleinkünstler nicht den Hut ziehen, der sich um die Erhaltung des Genitivs sorgt wie sonst nur, sagen wir, um den Konjunktiv. Der aber steht zumindest in der Alpenrepublik ohnehin nicht zur Disposition: Schließlich gilt er als "die österreichische Form der Wirklichkeit". Davon aber könnte wohl kaum einer ein schöneres Lied singen als Gerhard Bronner, der, mit Ovationen bedacht, aus der Hand des alten Weggefährten Ernst Stankovski den Ehrenpreis in der Sparte Chanson/Lied/Musik entgegennahm.

          Bronner, mittlerweile 82 Jahre alt, gehört neben Helmut Qualtinger und Georg Kreisler zu den Legenden des Wiener Nachkriegskabaretts. Seine Lieder und Chansons, irgendwo zwischen Unterhaltung und Polemik angesiedelt und dem rabenschwarzen Humor eines Kreisler weniger zugeneigt, bestechen vor allem mit ihrer - durchaus gelassen-selbstironischen - Leichtigkeit. Und, selbstredend, mit ihrem unvergleichlichen Wiener Charme, mit dem sie vorgetragen werden. Niemand, darf man vermuten, nicht in Mainz und nicht in Wien, könnte dem widerstehen, wenn Bronners Hände über die Tastatur gleiten und der alte Mann, schelmisch, fast jungenhaft, sein Publikum anflirtet: "Ham S' noch a bisserl Zeit?" Aber ja.

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