„Der fröhliche Weinberg“ : Spatzeköpp im prallen Leben
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„Hier wird gesunge“: Beim „Fröhlichen Weinberg“ stimmen alle mit ein. Bild: Jan Ehlers
Derber Schabernack: Laiendarsteller bringen in Darmstadt Carl Zuckmayers „Fröhlichen Weinberg“ auf die Bühne – und sorgen mit Schlagern und Volksliedern für Trinklaune.
„Jetzt wird’s Maul gehalte un gesunge!“, befiehlt Gunderloch. Und dann dürfen sie alle loslegen, die Weinreisenden, Weinhändler und Behördenvertreter, die sich eigentlich hier versammelt haben, um etwas abzubekommen vom Weinberg, den Gunderloch verkaufen will. Denn zur Ruhe setzen möchte sich der wohlhabende Winzer und seinen Lebensabend genießen. Aber in der lauen Nacht vor der Versteigerung wird noch einmal so wild gefeiert und gerauft und gesungen, dass es schließlich doch ganz anders kommt, als Gunderloch geplant hatte.
Mit einem bunten Mix aus Schlagern, Volksliedern, neueren Songs und Trinkliedern geraten sie alle in Weinlaune: Die Laiendarsteller der „Hessischen Spielgemeinschaft“, die den „Fröhlichen Weinberg“ von Carl Zuckmayer auf die Bühne des Staatstheaters Darmstadt bringen, ebenso wie die Zuschauer, die es beim lauten Mitsingen, Schunkeln und Klatschen kaum noch auf den Stühlen hält. Routiniert und mit Lust am derben Schabernack hat Regisseurin Judith Kuhnert das bewährte Lustspiel in Szene gesetzt, erstmals stand bei einer Produktion dieser Größe die Terrasse des Theaters als stimmungsvoller Spielort zur Verfügung.
Von Schlappmäulern und Hutschebebbes
Wie im Weinberg oder besser noch wie in einem Gartenlokal durften dort die Zuschauer zwischen Laubranken bei Riesling und Spätburgunder im Freien sitzen, unter aufgehenden Sternen und fern am Himmel blinkenden Flugzeugen. Die zentrale Bühne hat Michael S. Kraus um verschiedene, locker zwischen den Tischen der Zuschauer verteilte Podeste erweitert. So glaubten sich die Zuschauer mitten im Geschehen, während neben ihnen die Darsteller rannten und kämpften.
Eindrucksvoller noch als die Wirtshausschlägereien waren aber die Unverschämtheiten, die sich die (Rhein-)Hessisch babbelnden Schauspieler an den Kopf warfen. Und ja, die Schimpfwörter, all die Schlappmäuler, gepickte Welschhähn, Schnippedilles, Schinnöser, Hutschebebbes und Spatzeköpp, sie stehen samt und sonders genau so bei Carl Zuckmayer. Noch nach beinahe hundert Jahren erscheint sein Text frisch und aktuell, lassen seine deftigen Anspielungen einen irritiert zurück oder schrill kichernd. So ist es schon bei der Uraufführung des Lustspiels 1925 in Berlin gewesen, wie der Theaterautor damals von seinem Platz hinter der Bühne beobachtete. Er habe aufgerissene Münder gesehen, die kreischten und lachten: „Es war wie der Ausbruch einer ansteckenden Lachkrankheit, einer epidemischen Heiterkeits-Ekstase.“
Damals fühlten sich freilich viele durch seinen Text verhöhnt und angegriffen, nicht nur die Nationalsozialisten, die das Stück später verboten, sondern zum Beispiel Burschenschaftler, Kriegsveteranen, die Kirche und auch Juden. Einige gesellschaftskritische Spitzen sind heute kaum noch relevant, der Wunsch aber, dass die von Zuckmayer zitierten antisemitischen Töne nie wieder so laut zu hören sein werden, stellt sich unmittelbar ein.
Die Freude stand im Mittelpunkt des Abends
Indes ging es dem Schriftsteller wohl weniger um kritische Töne, sondern es war ihm an der „unbeschwerten, unsentimentalen, sachlichen Menschendarstellung“ gelegen, mit der er sein Publikum habe erfreuen wollen, wie er schreibt. Und so steht auch in Darmstadt die Freude im Mittelpunkt dieses Abends, die Freude am prallen Leben und am Spiel.
Die Ensemblemitglieder der „Hessischen Spielgemeinschaft“, gegründet 1925 zur Pflege des Darmstädter Lokalstücks „Datterich“, steckten jedenfalls mit ihrer Begeisterung sogleich ihr Publikum an, Ralf Hellriegel als imposanter Gunderloch ebenso wie Sandra Russo als sich mütterlich um alle kümmernde Annemarie, Benjamin Geipel als rasend eifersüchtiger Jochen und Ida Horst in der Rolle des verzweifelt gegen die Pläne ihres Vaters kämpfenden Klärchens.
Thomas Hechler als Knuzius überzeugte in der Rolle des unsympathischen Mitgiftjägers und angeblichen Verlobten Klärchens, der jämmerlich betrunken auf dem Misthaufen landet. Als gewitzten Kavalier stellte Daniel Seip seinen Hahnesand dar, und Eberhard Schick zeigte eindringlich, wie sich sein Weinreisender Löbche Bär durch hässliche Spöttereien gekränkt fühlt. Doch am Ende versöhnen sich alle, haben sich endlich die Richtigen gefunden, und sogar Gunderloch will sich nicht mehr zur Ruhe setzen. Lieber heiratet er Annemarie. Sentimentalität darf auch hier nicht aufkommen, dagegen hilft ein Hochzeitsmarsch für alle zum Mitsummen.