Buchstaben-Kunst : Die Lust an den leuchtenden Lettern
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„Wenn wir Buchstaben sehen, suchen wir sofort nach einem Sinn”: Designer und Lichtinstallations-Künstler Fabian Thiele Bild: Frank Röth
Der Frankfurter Designer Fabian Thiele hortet abmontierte Leuchtbuchstaben. Und verkauft sie in seinem Atelier.
Nichtsahnend schlängelte sich der Designstudent Fabian Thiele auf seiner Vespa durch die Frankfurter Innenstadt, als er sie erblickte: zehn Leuchtbuchstaben von schlichter Form und unschuldigem Weiß, lieblos zusammengeschoben auf dem Asphalt. Nahe der Hauptwache ließ ein großer Sportartikelhersteller gerade seinen Werbeschriftzug erneuern. Thieles Leidenschaft für demontierte Lettern war entfacht. Ein „S“ und ein „O“ durfte er mitnehmen. Er klemmte sich die Buchstaben zwischen die Beine und fuhr nach Hause.
„Dieser Buchstabenhaufen hat mich unglaublich fasziniert“, erinnert sich Thiele, ein Mann Anfang dreißig mit Kapuzenshirt und zur Seite gekämmtem Haar. Neun Jahre währt die Liebe jetzt schon. Heute sitzt er in einem Atelier in Sachsenhausen, 50 Quadratmeter in einem Siebziger-Jahre-Bau nahe der Brückenstraße. Im Schaufenster und in den Regalen türmen sich Hunderte von Buchstaben: große und kleine, dicke und dünne, solche mit und ohne Leuchtstoffröhren. Thiele hat sie nach Farben sortiert: Himmelblau bis Violett in der linken Ladenecke, Lindgrün bis Tannenblau in der rechten. An der Ladentheke lehnt ein mannshohes „R“ aus Plexiglas, daneben ein blassrotes Sparkassen-„S“.
„Interaktives Lichtmöbel“
Die meisten Exponate stammen von deutschen Ladenfronten, ein paar aus Australien, Österreich und Polen. Das rote „R“, das auf der Theke liegt, kommt von einer früheren Imbissbar in Krakau. Thieles Freundin, die in Polen lebt, hat es für ihn abgeschraubt.
An der Fassade eines Pariser Friseursalons prangten vor etwa 90 Jahren die ersten Leuchtstoff-Lettern. Seitdem hat sich viel geändert. Hinter modernen Leuchtbuchstaben stecken heute meist stromsparende LED-Leuchten. Thiele aber sammelt die Klassiker: Metallgrundkörper mit Plexiglasfront, sorgfältig verpresst in Handarbeit. Im Gehäuse läuft Starkstrom mit 1000 Volt und bringt die Buchstaben zum Leuchten.
Schon als Student war Thiele von Licht fasziniert. Für seine Diplomarbeit baute er beleuchtete Tische, die beim Berühren die Farbe wechseln. „Interaktives Lichtmöbel“ nennt er das. Sein Geld verdient der Designer in einem Frankfurter Einrichtungshaus, die Sache mit den Buchstaben war lange nicht mehr als ein Hobby. Doch als der Keller seiner Studentenbude überquoll, suchte Thiele nach einem Atelier – und fand den kleinen Raum in Sachsenhausen.
200 bis 300 Euro für ein Unikat
Hier sitzt er, wenn er von der Arbeit kommt, und schrubbt mit Zahnbürste und Seifenlauge seine Lettern. Er repariert Leuchtstoffröhren, entwirrt Stromkabel, und ab und zu holt er sich aus dem Kühlschrank neben der Ladentheke ein Pils. Aus besonders schönen Buchstaben baut Thiele kleine Stehleuchten. Die Lampenfüße dazu sucht er auf Flohmärkten. 200 bis 300 Euro kosten die Unikate.
Noch lässt sich das Geschäft schleppend an. Thieles Atelier ist nur freitags von 16 bis 18 Uhr geöffnet, und für den Online-Vertrieb sind die Buchstaben nicht geeignet: Die empfindlichen Röhren würden auf dem Postweg zerbrechen. Ein paar Kunden verirren sich dennoch in Thieles Typographen-Kabinett. Neulich kam sogar sein Steuerberater vorbei – um sich für die letzte Steuererklärung eine Lampe auszusuchen.