Hauskonzerte in Corona-Zeit : „Die Leute haben Hunger nach Musik“
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Kommen gern ins Haus: Die Cellistin Annabel Hauk und der Pianist Nuron Mukumi bringen Musik mit. Bild: Wonge Bergmann
Live-Musik trotz Corona: Die Cellistin Annabel Hauk, der Pianist Nuron Mukumi und ihre Kollegen geben mit der Initiative „Back to live“ Hauskonzerte in der Rhein-Main-Region.
Nach der monatelangen Corona-Zwangspause hätten sie einfach keine Lust mehr gehabt, nur daheim für sich allein zu musizieren, sagen Annabel Hauk und Nuron Mukumi. Als sich die 1999 in Frankfurt geborene Cellistin und der seit vielen Jahren hier lebende Pianist, der 1996 im usbekischen Taschkent zur Welt kam, vor kurzem durch die Vermittlung eines Verwandten kennenlernten, überlegten sie daher gleich, ob sie nicht irgendwo zusammen ein Hauskonzert geben könnten.
Sie liebe diese Form des Musizierens im kleinen Kreis, da sie viel persönlicher sei, man in Kontakt zu den Zuhörern kommen könne. Außerdem sei die meiste Kammermusik des klassisch-romantischen Repertoires für die Aufführung in solchen kleinen privaten Sälen komponiert worden, erläutert Annabel Hauk. So entwickelte sie mit drei weiteren jungen Musiker-Kollegen – mit dem seit kurzem zum Frankfurter Opernensemble gehörenden Bariton Liviu Holender, der Sopranistin Adriana González und der Violinistin Felicitas Schiffner – die Idee weiter zu einem ungewöhnlichen Projekt: Unter dem Titel „Back to live“ bieten sie jetzt an, zu Musikliebhabern nach Hause zu kommen und dort Konzerte zu geben.
Kein Wohnzimmer ist zu klein
Die potentiellen Gastgeber können Kontakt über Hauks Internetseite aufnehmen, selbst die Besetzung und die Werke aus dem vorhandenen Repertoire auswählen oder sich überraschen lassen. Eigentlich sei alles verhandelbar, und niemand müsse Angst haben, dass sein Wohnzimmer zu klein sei oder andere Möglichkeiten nicht vorhanden seien, ermutigt die Musikerin, die nicht nur selbst Offenheit ausstrahlt, sondern auch das Projekt so zugänglich wie möglich formuliert: Sie würden sich auch nicht scheuen, etwa allein für ein älteres Ehepaar zu spielen, sagen sie und Mukumis.
Dorothee Kruft, die seit vielen Jahren bei sich daheim in Bad Homburg Hauskonzerte organisiert, war die Erste, die das junge Cello-Klavier-Duo zu sich einlud. Sie hatte Mukumi, der als Student des vormals an der Frankfurter Musikhochschule lehrenden Professors Lev Natochenny auch schon mit dessen Meisterklasse in der Alten Oper aufgetreten ist, noch kurz vor dem Lockdown bei einem Soloklavierabend im Marmorsaal der Villa Henkell in Wiesbaden vor großem und begeistertem Publikum erlebt. Auch Annabel Hauk hat sie schon in einem ganz normalen Konzert in Bad Soden gehört. Die beiden hochtalentierten Musiker nun bei ihrem Duo-Debüt in kleinem Rahmen im heimischen Wohnzimmer erleben zu können sei überwältigend und ihre Darbietung „von unglaublicher Qualität“ gewesen.
Früh übt sich
Die Idee von „Back to live“ findet Dorothee Kruft, deren Großvater schon Hauskonzerte mit dem Melos-Quartett organisierte und auf deren Flügel schon der junge Martin Stadtfeld spielte, daher fantastisch. Die Gespräche vor und nach den Konzerten, der kulturelle Austausch, etwa in der alten Tradition des Salons der romantischen Schriftstellerin Rahel Varnhagen, seien große Chancen, sagt die ausgebildete Kunsthistorikerin. Wenn so begabte und bestens ausgebildete Musiker „für relativ wenig Geld“ in Privathäuser kämen und man sie auf ihrem weiteren Weg begleiten dürfe, sei das ein Geschenk.
Wohin ihre Wege in den kommenden Monaten führen, steht für Annabel Hauk und Nuron Mukumi allerdings noch in den Sternen. Die beiden sind sich dabei bewusst, dass sie sich noch zu den Glücklicheren ihrer Zunft zählen. Sie kennen, wie sie einhellig berichten, viele Kollegen, die infolge der fehlenden Einnahmen durch Auftritte „ihre Miete nicht mehr zahlen können und Hartz IV beantragt haben“, sagen sie. Annabel Hauk studiert eigentlich seit 2017 am New England Conservatory in Boston. Schon seit vergangenem Dezember wohnt sie nun wieder im Haus ihrer Eltern in Bad Soden, wo jedenfalls alle Möglichkeiten zum Musizieren vorhanden sind, zumal ihre Mutter Claudia Schellenberger Pianistin ist. Sie habe tatsächlich in den vergangenen Monaten viel geübt, dazu viel Sport getrieben und Spaziergänge gemacht, erzählt die junge Cellistin. Da sie in Boston bei Freunden gewohnt habe, falle dort derzeit glücklicherweise keine Miete an. Sie hoffe nun, im Januar wieder zum Studium in die Vereinigten Staaten zurückkehren zu können. Wie sich dort aber die Lage mit der Corona-Krise entwickle, sei nicht absehbar, sagt Hauk, die ihren ersten Cello-Unterricht schon mit fünf Jahren erhielt, früh am Emanuel-Feuermann-Konservatorium der Kronberg Academy aufgenommen und dort zuletzt von Istvan Vardai unterrichtet wurde.
„Möglichst viele Konzerte spielen“
Mit viel Ungewissheit muss auch Mukumi leben. Er hofft, Ende des Jahres an der Züricher Kalaidos-Musikhochschule, wo er seit 2015 bei Lev Natochenny weiterstudiert hat, seinen Bachelor-Abschluss online machen und dann im kommenden Jahr sein Konzertexamen in Paris ablegen zu können. Wie Hauk sind ihm einige Konzerte weggebrochen, so auch das für den 29. August geplante beim Rheingau Musik Festivals auf Schloss Johannisberg – ein Auftritt, um den er sich jahrelang bemüht habe, wie er sagt. Annabel Hauk hatte sich unterdessen schon besonders auf ein Konzert im berühmten Sankt Petersburger Konservatorium gefreut.
Noch fühlen sich die beiden nicht entmutigt. Ihr vordringliches Ziel sprechen sie mit spürbarer Begeisterung aus: „Wir wollen möglichst viele Konzerte spielen.“ Dass das Projekt „Back to live“ so gut angelaufen ist und es schon zahlreiche Anfragen gibt, freut die beiden. Der Musikhunger der Menschen sei offenbar groß. Im Internet Konzerte zu streamen oder als Video zu präsentieren komme für sie allerdings nicht in Frage. Denn da fehle der Nervenkitzel und der direkte Kontakt zu Zuhörern. Es geht eben um lebendiges Musizieren, getreu dem Motto „Back to live“.
„Back to live“
Buchungen sind über die Homepage von Annabel Hauk möglich: www.annabel-hauk.de