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Ausstellung „Passagen“ : Die Welt, von der Frackfalte aus betrachtet

Tagebuch in Bildern: Christoph Brech fotografierte 2006/07 Rom - etwa das Collesseum

Tagebuch in Bildern: Christoph Brech fotografierte 2006/07 Rom - etwa das Collesseum Bild:

Die Ausstellung „Passagen“ im Bad Homburger Sinclair-Haus zeigt Fotografien, Videos und eine Installation von Christoph Brech. Wahrscheinlich ist es am besten, seine Videoarbeiten, Installationen und Fotografien ohne jedes Vorwissen anzusehen.

          3 Min.

          Wahrscheinlich ist es am besten, Christoph Brechs Videoarbeiten, Installationen und Fotografien ohne jedes Vorwissen anzusehen. Sich ganz auf sie einzulassen. Sich an den Rätseln auszuprobieren, die sie ihrem Betrachter aufgeben. Und sich hineinziehen zu lassen in ihre Ruhe und Eindringlichkeit, in ihre Langsamkeit und Kontemplation. Wer also nicht weiß, was denn da eigentlich zu sehen ist in Brechs sechzehnminütigem Film „Transito“, muss seine Vorstellungskraft bemühen. Und genau hinsehen.

          Katharina Deschka
          Redakteurin in der Rhein-Main-Zeitung.

          Denn durch die Dunkelheit fallen nur einige Streifen Licht. Ein Vorhang bewegt sich. Plötzlich durchqueren Füße das Bild. Andere Füße folgen, sie stecken mal in hochhackigen Schuhen, mal in Sandalen oder Turnschuhen, einmal läuft nur eine Person vorbei, dann wieder eine ganze Gruppe. Ob man herausfinden kann, dass es sich bei diesem wunderbaren Film um Aufnahmen eines Vorhangs im Eingang einer Kirche handelt? Gedreht in Fußhöhe, zeigt er nicht mehr als die Schuhe der Hinein- und Hinausgehenden und den im Luftzug schwingenden Vorhang und markiert auf treffliche Weise den geheimnisvollen Schnittpunkt zwischen zwei Welten: dem ruhigen sakralen Innen und dem sonnenhellen, von Autohupen und Stimmen durchdrungenen Außen.

          Das Bad Homburger Sinclair-Haus (Löwengasse 15) präsentiert in seiner Ausstellung „Passagen“ eine Vielzahl jener Werke des 1964 in Schweinfurt geborenen, jetzt in München lebenden Künstlers, die 2006 während seines Aufenthalts in Rom als Stipendiat der Villa Massimo entstanden sind. Wie das „Römische Tagebuch“, für das er ein Jahr lang jeden Tag fotografierte und die jeweils schönste Aufnahme auswählte. Von der Ewigen Stadt hat Brech dabei erfrischend neue Bilder festgehalten: ungezwungen, humorvoll, interessant. Sie lehren den unvoreingenommenen Blick aufs Detail und die Gelassenheit, sich für das Ungewöhnliche mitten im Alltäglichen Zeit zu nehmen. Sie zeigen die Peterskirche und das Kolosseum vor einem wundersam gestreiften Himmel, sie entdecken Gladiatoren von Playmobil in einem Spielzeugladen beim Kampf mit Löwe und Tiger, zeigen selten Touristen und Sehenswürdigkeiten, lieber Schachspieler auf der Straße, Blumenhändler, Politessen und einmal den Rücken des Papstes.

          Auch in dem Film „Punto“ weiß man nicht, wo man sich befindet. Dass es eine Fahrt durch Rom ist, die aber in den Reflexionen der Heckklappe eines Kleinwagens so gesehen wird, dass die Palmen und Gebäude deshalb wundersam verzerrt sind: das muss man erst erkennen. Man muss sich neu orientieren, neu sehen und hören: auf das Husten eines unsichtbarens Fahrers und das kratzende Geräusch, wenn er den Gang einlegt. Und indem man so genau lauscht und hinsieht, wird auch die Schönheit offenbar, die dieser Tag hergibt, an dem die Sonne scheint und die Stadt voller Leben ist. In dem Videofilm „Opus 110a“ konzentriert sich Brech auf ein zunächst eigenartig scheinendes Detail. Denn der Film zeigt allein den Rücken von Dirigent Christoph Poppen, während er die Kammersinfonie Opus 110a von Schostakowitsch mit dem Münchner Kammerorchester aufführt: Die Falten des Fracks bewegen sich im Takt der Musik.

          Brech lässt den Betrachter seiner Arbeiten genau hinschauen. Er muss sich einlassen auf diesen bestimmten Moment, auf genau dieses Phänomen und die Besonderheit genau dieses Augenblicks. Auf der Fahrt in einem Containerschiff nach Kanada etwa filmte Brech ein Glas Wasser, das jedes Schwanken des Schiffs zitternd registriert. Sein Film „Trapasso“ hingegen zeigt in die Böden römischer Kirchen eingelassene Grabplatten. Die Gesichter der Toten auf den Steinreliefs sind nach Jahrhunderten kaum noch zu erkennen. Zu viele Menschen sind über sie hinweggelaufen und haben die Steingesichter in abstrakte Schemen von Köpfen verwandelt, die sich nun alle ähnlich sehen. Gegen die Vergänglichkeit stellt Brech den bewusst erlebten Augenblick: Auf einer Schiffsreise über den Atlantik fotografierte er für seine „Seestücke“ jeden Tag zur gleichen Zeit den Horizont über dem offenen Meer. Seine Installation „Emma und Andreas“ erinnert mit Gegenständen aus dem Besitz seiner verstorbenen Großeltern an die Menschen, die sie einmal waren: Ein großer, abgenutzter Lehnsessel dreht sich um die eigene Achse, umgeben ist er von veralteten medizinischen Fachbüchern.

          Die neun Fotografien, aus denen sich die Arbeit „Valle“ zusammensetzt, zeigen hellgrüne, blühende Bäume im Tal, aufgenommen aus unterschiedlicher Perspektive von einer Brücke in den Albaner Bergen. Diese Brücke wurde, bevor man sie mit Gittern und Netzen absicherte, von Selbstmördern genutzt. Brech hat fotografiert, was sie als Letztes sahen: Baumkronen, die immer näher kommen.

          Bis 19. April ist die Ausstellung dienstags von 14 bis 20 Uhr, mittwochs bis freitags von 14 bis 19 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

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