30 Jahre Stipendienprogramm : „Das Reisen von Künstlern hat eine lange Tradition“
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Perspektivwechsel ermöglichen: Sylvia Metz (links) und Claudia Scholtz von der Hessischen Kulturstiftung. Bild: Samira Schulz
Seit 30 Jahren reisen bildende Künstler unterstützt von der Hessischen Kulturstiftung ins Ausland. Das soll ihnen einen Perspektivwechselermöglichen. Ein Gespräch mit den Geschäftsführerinnen der Stiftung, Eva Claudia Scholtz und Sylvia Metz.
Seit 30 Jahren ermöglicht das Stipendienprogramm der Hessischen Kulturstiftung alle zwei Jahre jeweils 15 bildenden Künstlern oder Künstlerduos, ins Ausland zu reisen oder in den stiftungseigenen Ateliers in New York, London, Paris und Istanbul zu leben und zu arbeiten. Frau Scholtz, Frau Metz, warum ist das Reisen für Kunstschaffende so immens wichtig?
Scholtz: Schon Albrecht Dürer ist nach Italien gefahren, genau wie Goethe. Es ist eine ganz lange Tradition von Künstlern zu reisen.
Metz: Als Goethe aufgebrochen ist zu seiner Reise, 1786, da hat er seinem Förderer Herzog Carl August geschrieben, dass er raus musste, einen Perspektivwechsel brauchte. Und dieses Bedürfnis, sich neue Anregungen zu holen, hat sich von Anfang an bei reisenden Künstlern gefunden. Auch unsere Stipendiaten schauen sich fremde Länder an, und alles, was sie sehen, ist ein Input für ihre künstlerische Arbeit.
Scholtz: Natürlich ist es auch ein Schaffen von Freiraum. Die meisten Künstler haben noch einen Brotjob nebenbei. Und das Stipendium gibt ihnen die Möglichkeit, ein Jahr im Ausland zu verbringen, wo sie sich ohne Unterbrechungen, die sonst im Alltag zwangsläufig der Fall sind, einer künstlerischen Arbeit und Forschung in Archiven oder Sammlungen widmen. Wenn man das ohne Störung tun kann in seinem Rhythmus, ist das für die Entwicklung von Kreativität das Beste, was einem passieren kann.
Die jüngsten Stipendiaten, die nun bald ihre Reise antreten werden, finden eine veränderte Welt vor. Wirken sich die Pandemie, der Krieg, die Energiekrise auf die Lust am Reisen aus?
Scholtz: Retrospektiv betrachtet haben wir die vergangenen 30 Jahre eine ganze Reihe von schrecklichen Ereignissen durchgemacht, gerade in den Atelierstädten. Sei es 9/11 in New York, sei es das Massaker im Bataclan in Paris, sei es der Putschversuch und diverse Attentate in der Türkei. Das sind alles Themen, die nicht ohne Wirkung auf die Stipendiaten bleiben, da müssen auch Reisevorhaben oder Forschungsprojekte angepasst werden. So ist aktuell eine nach Russland geplante Fahrt nicht möglich, das Künstlerduo bellu&bellu unternimmt die Reise jetzt nach Israel. Trotzdem ist die Reiselust ungebrochen.
Sind die Bewerbungen also nicht zurück gegangen?
Metz: Nein, wir hatten sogar noch mehr Bewerbungen dieses Jahr, nämlich 310. Im letzten Turnus waren es 297 und im Turnus davor 169. Das Interesse steigt stetig an.
Was macht das Stipendium attraktiv?
Scholtz: Ein Vertrauensvorschuss und das Ermöglichen von „Zeit ohne Bedingungen“ sind vielleicht die wichtigsten Stichworte auf Ihre Frage.
Haben die Erfahrungen der Pandemie in den künstlerischen Werken Spuren hinterlassen?
Scholtz: Es wurden Stipendiaten überrascht, die in den Ateliers waren – wie Felix Breidenbach in New York. Er ist im März 2020 noch nach Hause gekommen.
Metz: Das Erlebnis, dass man sofort seine Koffer packen muss, können Sie an seinen aktuellen Arbeiten sehen. Er macht jetzt unter anderem Papierarbeiten, die man auch falten, mitnehmen und später wieder an die Wand hängen kann. Und Antonia Hirsch, die nach Japan gereist war, hat einen Fernseher, „Bob“, mit menschlichen Zügen aus Schaumstoff geschaffen, weil der für sie ein wichtiges Medium in der Isolation der Pandemie war. Es gibt viele Beispiele.
Wie viele Künstler haben Sie in den 30 Jahren gefördert, wie viel Geld investiert?
Scholtz: Wir haben 207 Künstler gefördert, und mit dem neuen Turnus sind wir bei 222. Wir haben sechs Millionen Euro investiert.
Trägt die Investition Früchte? Und wie ließe sich ein Erfolg überhaupt messen?