
Kommentar : Lockerungsübungen in der Energiepolitik
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Nicht nur in der Ausländerpolitik scheint es derzeit zu gelingen, mit Provokationen fruchtbare Debatten auszulösen. Seit den Diskussionen um längere Laufzeiten von Kernkraftwerken zögern offenbar auch die Energiekonzerne mit Investitionen in Kohlekraftwerke.
Nicht nur in der Ausländerpolitik scheint es derzeit zu gelingen, mit Provokationen fruchtbare Debatten auszulösen. Die von einer ganzen Generation als Zumutung empfundene Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, auf die sich die künftige Koalition in Berlin zu verständigen scheint, zeitigt schon vor Ende der Verhandlungen Folgen insofern, als die Energiekonzerne mit Investitionen in Kohlekraftwerke zögern, einzelne Projekte gar stoppen.
Dass ein Eon-Sprecher, der von einer grundsätzlichen Überprüfung auch der Pläne für das milliardenschwere Vorhaben in Großkrotzenburg berichtete, tags drauf aus dem eigenen Haus korrigiert wurde, bestätigt nur die Nervosität in den Versorgungsunternehmen, die sich alle Optionen offenhalten wollen. Wie unverhofft ein Aus kommen kann, zeigt Mainz.
Man spricht wieder über konventionelle Formen der Stromerzeugung
Ob sich der Aufwand der hessischen Landesregierung lohnt, wieder und wieder für eine Verlängerung der Laufzeit von Biblis zu streiten, wenn die Kernenergie doch nur eine „Brückentechnologie“ bleiben soll, steht dahin. Die Branche hatte sich in den vergangenen Jahren mit dem von Rot-Grün oktroyierten Ausstiegsszenario eingerichtet, und die Finanzierung der Energiewende wird sich auch wohl anders organisieren lassen als ausgerechnet mit dem Abschöpfen der bei Kernkraftwerken anfallenden Gewinne. Aber gut, die Koalitionsgespräche in Berlin und die Reaktionen der Energieversorger haben wenigstens zur Folge, dass man wieder über konventionelle Formen der Stromerzeugung spricht, ohne die es einstweilen nicht gehen wird.
In Hessen wird wie auch anderswo leidenschaftlich über Energiepolitik gestritten, an großen Worten fehlt es selten. Unvergessen ist, dass Roland Koch, als er noch im Wahlkampf stand, Hessen in dieser Hinsicht zu einem Musterland machen wollte.
Es geht auch gern eine Nummer kleiner, aber allmählich wüsste man doch gern, wie sich Umweltministerin Silke Lautenschläger (CDU) die Energiepolitik der nächsten Jahre in diesem Bundesland vorstellt; ein von ihrem Haus kürzlich vorgelegter Energiebericht umfasst mehr als 300 Seiten und bleibt doch erstaunlich vage. Die gegenwärtigen Lockerungsübungen in der Energiepolitik wären eigentlich ein guter Anlass für präzisere Erläuterungen. Der bevorstehende Abschluss der Koalitionsverhandlungen, mit denen auch die Linie für Hessen vorgegeben wird, wäre es allemal.

Stellvertretender Ressortleiter des Regionalteils der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und verantwortlicher Redakteur des Wirtschaftsmagazins Metropol.
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