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Kinderschutzbund : Kinder berichten öfter von Gewalterfahrungen

Fürchterliche Folter an Körper und Seele: Eine Kriminaloberkommissarin in Gießen (Hessen) auf der Suche nach Spuren von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch im Netz Bild: dpa

Ein aktueller Bericht zeigt: Der Kinderschutzbund berät immer mehr Kinder, die Gewalt erfahren haben. Den größten Anstieg gibt es bei sexualisierten Übergriffen.

          3 Min.

          Die Pandemie bestimmt noch immer den Alltag – nicht nur durch die steigenden Infektionszahlen, sondern auch, was die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche angeht. Stefan Schäfer, Geschäftsführer des Frankfurter Kinderschutzbundes, macht die Lockdowns, die Krisenstimmung und die große Unsicherheit der vergangenen Jahre für vieles verantwortlich, was seine Beratungsstelle für von Gewalt betroffene Kinder, Jugendliche und deren Familien im vergangenen Jahr beobachtet hat: 2021 gab es dort einen deutlichen Anstieg der Beratungsanfragen. „Viele Familien, die vorher gut mit herausfordernden Situationen umgehen konnten, packen es jetzt nicht mehr“, berichtet Schäfer. Vielen sei das selbst klar. Sie kämen darum auch von allein auf den Kinderschutzbund zu, weil sie ahnten, dass sie dringend Unterstützung brauchen.

          Theresa Weiß
          Redakteurin in der Rhein-Main-Zeitung.

          Wie im Jahresbericht des Kinderschutzbundes nachzulesen ist, wurden in der Mainmetropole im vergangenen Jahr insgesamt 270 Anfragen an die Beratungsstelle gerichtet, ein Wert „deutlich über dem Durchschnitt der Vorjahre“. Vor allem Eltern sowie pädagogische Fachkräfte suchten demnach Rat oder baten um eine Gefährdungseinschätzung, weil sie um ein konkretes Kind in Sorge waren. Aber auch Geschwister und Selbstmelder hätten Unterstützung gesucht. Der Anteil betroffener Mädchen und Jungen war dem Bericht zufolge ähnlich.

          Täter meist aus dem nahen Umfeld

          Ein Grund, warum die Nachfrage nach den Beratungen so gestiegen ist, könnte laut Schäfer das Ende der Lockdowns sein – da Schulen, aber auch Jugendhäuser und Treffs wieder offen sind, werden zum Beispiel Wunden oder auffälliges Verhalten schneller entdeckt. Die Betroffenen können dann angesprochen oder an Hilfsangebote vermittelt werden.

          27 Prozent der Kinder, die zur Beratungsstelle des Kinderschutzbundes kamen, waren von sexualisierter Gewalt betroffen. „Das ist der größte Anstieg“, sagt Stefan Schäfer. Und nach den Zahlen, die der Jahresbericht ausweist, auch der häufigste Anlass überhaupt, eine Beratung aufzusuchen. Zehn Prozent der Hilfesuchenden kamen wegen psychischer Gewalt, 16 Prozent wegen körperlicher Gewalt. 14 Prozent der Beratungen fanden wegen Vernachlässigung statt, jede fünfte wegen häuslicher Gewalt. Schäfer glaubt, dass der Anstieg bei der sexuellen Gewalt sich auch daraus erklärt, dass sich mehr Kinder und Jugendliche trauen, nach Hilfe zu fragen, wenn sie einen sexuellen Übergriff erlebt haben: „Das Thema wird gesellschaftlich enttabuisiert.“ Die Täter stammten meist aus dem nahen Umfeld, wie oft bei dieser Form von Gewalt.

          20 Kinder haben im Vorjahr infolge erlebter häuslicher Gewalt oder sexuellen Missbrauchs ein längerfristiges pädagogisch-therapeutisches Angebot vom Kinderschutzbund erhalten, wie es im Bericht aus der Beratungsstelle weiter heißt. Einem jungen Menschen sei durch seine Inobhutnahme geholfen worden. Insgesamt werde viel mit der Spieltherapie gearbeitet, um zur Innenwelt der traumatisierten Kinder vorzudringen, in der Bedürfnisse, Sorgen, Wünsche und Erfahrungen zum Ausdruck gebracht würden.

          Die Stadt weiß um die Herausforderungen. Die zuständige Sozialdezernentin Elke Voitl (Die Grünen) hat darum vor einigen Wochen im Sozialausschuss angekündigt, dass Frankfurt ein Childhood Haus bekommt. In dieser Einrichtung, die in Zusammenarbeit mit der Uniklinik noch in diesem Jahr entstehen soll, würden Kompetenzen verschiedener Fachrichtungen gebündelt, um Gewalt gegen Kinder aufzuarbeiten und zu beenden. So sollen etwa Psychologen die Kinder zur Tat befragen, wobei die Polizei die Aussage per Kamera beobachten kann. Das Kind muss dann die traumatischen Erlebnisse nicht immer wieder aufs Neue schildern.

          Im Netz viel „Peer-Gewalt“

          Weil sich Jugendliche – auch durch die Pandemie – oft aber mehr im Internet als irgendwo sonst aufhalten, hat der Kinderschutzbund darauf reagiert. „Die Medienpräsenz der Jugendlichen ist in der Pandemie sprunghaft gestiegen“, sagt Schäfer. Sein Team bietet darum auch mehr Hilfe im Netz an. Zum Beispiel mit dem Projekt „Safe im Recht“. Dort erhalten die betroffenen Kinder juristische, emotionale und pädagogische Begleitung mit „jugendgerechten Zugangswegen“, wie Schäfer es ausdrückt. Das heißt: Die Kinder können den Kontakt zur Beratung zum Beispiel per Chat herstellen. Inhaltlich ist das Projekt ebenfalls an die Themenwelt online angepasst: Im Fokus stehen Cybermobbing oder Hass im Netz. Aber auch zu sexualisierter Gewalt kommt es dort. Etwa, wenn jemand ein Nacktfoto ins Internet stellt oder damit droht.

          Im Netz sei viel „Peer-Gewalt“ im Spiel, sagt Schäfer. Also Gewalt von Kindern gegeneinander. „Was früher Mobbing auf dem Schulhof war, findet heute im Netz statt – und wird dann natürlich auch sofort an alle anderen Schulen weitergeschickt.“ Über „Stark im Recht“ könnten betroffene Kinder in solch einem Fall Hilfe bekommen und zum Beispiel erfahren, wie ein Bild aus dem Netz zu löschen ist und wie sie juristisch gegen den Verursacher ­vorgehen können. So sollen ihnen Handlungsspielräume aufgezeigt werden.

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