Kasseler NSU-Mord : Schuldzuweisungen und gegenseitige Lügenvorwürfe
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Im Gegenwind: Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier im Februar 2015 in Berlin. Bild: dpa
Die Diskussion um die Hintergründe des NSU-Mordes in Kassel gerät zu einer Schlammschlacht zwischen SPD, CDU und Grünen. Der „Tiefpunkt politischer Kultur“ sei erreicht.
In der Debatte über die Hintergründe des Kasseler NSU-Mordes im Jahr 2006 betonen die fünf Landtagsfraktionen beharrlich ihren Willen zur Aufklärung, lassen aber keine Chance aus, sich gegenseitig mit Dreck zu bewerfen. Nachdem sich Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) seit Beginn der Woche dem von ihm heftig bestrittenen Vorwurf ausgesetzt sieht, er habe Ermittlungen gezielt behindert und das Parlament belogen, nahm sich Oppositionsführer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) gestern die schwarz-grüne Regierungskoalition insgesamt vor und bezichtigte CDU und Grüne, sie hätten kein wirkliches Interesse daran, Licht in das Dunkel um die Ermordung des Internetcafébetreibers Halit Yozgat zu bringen.
Die CDU habe schon bei den Sondierungsgesprächen mit den Sozialdemokraten nach der Landtagswahl, Ende 2013, deutlich gemacht, was sie von der Forderung nach Aufklärung halte, sagte Schäfer-Gümbel in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“: „Die Union wollte das ausdrücklich nicht.“ Der Umgang mit dem Kasseler NSU-Mord sei „der schwierigste Punkt“ bei den Sondierungen mit der CDU gewesen, fügte Schäfer-Gümbel hinzu, eine Darstellung, die CDU-Generalsekretär Manfred Pentz als „dreiste Lüge“ bezeichnete.
Grünen-Politiker zeigte sich „angewidert“
Ein NSU-Untersuchungsausschuss sei überhaupt kein Thema in den Gesprächen gewesen, das belege ein Blick in einen von der SPD-Führung im November 2013 selbst veröffentlichten, zusammenfassenden Bericht von diesen Treffen, sagte Pentz. Tatsächlich ist das Thema NSU auf diesen sieben Seiten kein einziges Mal erwähnt. Trotzdem blieb Schäfer-Gümbel auf Nachfrage bei seiner Version und verteidigte sie mit dem Hinweis, dass es kein Protokoll der Gespräche zwischen SPD und CDU gebe.
Der Grünen-Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Kai Klose zeigte sich indes „angewidert“ von einer anderen, gegen seine Partei gerichteten „widerlichen Entgleisung“ des SPD-Landesvorsitzenden und Fraktionschefs. Schäfer-Gümbel äußerte in dem Interview nämlich nicht nur Zweifel am Aufklärungswillen der Grünen, sondern warf ihnen zudem vor, sie machten sich zum Erfüllungsgehilfen der CDU. „Es gibt drei Stufen der Kooperation: die des Koalitionspartners, die der Vasallentreue und am Ende die der Komplizenschaft“, sagte Schäfer-Gümbel. „Die Grünen müssen aufpassen, dass sie nicht die dritte Stufe erreichen.“ Im Kontext der Aufklärung der NSU-Morde in Bezug auf die Grünen den Begriff „Komplizenschaft“ zu verwenden, sei „widerwärtig“ und „ein bedauerlicher Tiefpunkt der politischen Kultur der hessischen SPD und ihres Vorsitzenden“, schlug Klose zurück.
„Was die Grünen wollten und wollen, wissen wir immer noch selbst am Besten und brauchen dafür keine Interpretationen der SPD“, stellte der Grünen-Vorsitzende klar. „Wir waren, sind und bleiben für vollständige Aufklärung.“ Angesichts einer solchen Schlammschlacht ist es beruhigend, dass die inhaltliche Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags nicht ganz auf der Strecke bleibt. SPD und Linke reichten nach eigenen Angaben zwei Beweisanträge ein, in denen die sofortige Herausgabe der Aufzeichnungen von polizeilich abgehörten Telefonaten zwischen Verfassungsschützern gefordert wird. Aus bisher veröffentlichten Gesprächsauszügen entsteht der Eindruck, der Verfassungsschutz habe schon vor dem Kasseler Mord von der Tat und den Tätern gewusst. Die FDP lobte die Initiative der beiden anderen Oppositionsfraktionen: Schließlich seien doch alle an schnellstmöglicher Aufklärung interessiert.