Absage in Niedernhausen : Jeanne d’Arc scheitert schon vor der Premiere
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Geplatzt: Der Traum von der Wiederbelebung des vor 20 Jahren erbauten Musicaltheaters in Niedernhausen Bild: Marcus Kaufhold
Katzenjammer in Niedernhausen und Enttäuschung bei den Schauspielern: Das Musical über Jeanne d’Arc im Rhein-Main-Theater scheitert schon vor der Premiere.
Norma Desmond erschoss auf dem „Sunset Boulevard“ von Niedernhausen ihren jugendlichen Liebhaber immerhin 992 Mal, ehe der Vorhang fiel. Jeanne d’Arc ist es hingegen nicht einmal zur Premiere vergönnt, die Engländer auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Der Traum von der Wiederbelebung des vor 20 Jahren erbauten Musicaltheaters in Niedernhausen ist spektakulär geplatzt. Diesmal waren es nicht die Veranstalter, sondern die Schauspieler selbst, die drei Monate vor der ersten Aufführung das Scheitern des Musicalprojekts öffentlich machten.
Von Wien aus warnt Jennifer Siemann, die im Wechsel mit Katja Berg die französische Nationalheldin spielen sollte, seit Sonntag auf Facebook vor dem Ticketkauf: „Es tut mir leid, euch mitteilen zu müssen, dass Jeanne d’Arc abgesagt wurde. Der Produzent ist nicht wasserdicht. Das muss man erst mal bringen“, erzählt sie ihrer Fangemeinde, die mit einer Flut von Beileidsbekundungen reagiert.
Schauspieler „noch immer geschockt“
Ihr Ensemble-Kollege Martin Markert gibt sich im sozialen Netzwerk „noch immer geschockt, da alles so toll aussah. Unterschrieben habe ich meinen Vertrag letztes Jahr im September und dafür ein paar andere sehr schöne Dinge abgesagt“.
Das Internetportal „Musical World“ zitiert die Musical-Autorin Maricel Wölk aus Hannover mit den Worten: „Ich bin so sprachlos und traurig.“ Schließlich habe es „finanzielle Sicherheiten, unterschriebene Verträge und ein eigens gekauftes Theater“ gegeben. Leider habe der Produzent das Stück abgesagt: „Offensichtlich wird er Insolvenz anmelden und wird derzeit von der Steuerfahndung untersucht.“ Einziger Trost sei, dass Regisseur Stanislav Moša das Stück im nächsten Jahr im Stadttheater Brünn aufführen wolle.
Die Nachricht von der Absage haben gestern nicht nur Branchenportale wie musical1.de, musical-world.de und musicalzentrale.de in Windeseile verbreitet, sondern auch die bisherige Pächterin des Theaters, die Konzertveranstalterin Depro in Gemünden. Depro hatte nach der Pleite von „Sunset Boulevard“ im Mai 1998 das für 25 Millionen Euro gebaute Rhein-Main-Theater mit Konzerten und anderen Veranstaltungen regelmäßig bespielt. Nun sollte Depro Platz für den Unternehmer Florian Willmanns und seine Pläne machen.
„Zahlungsfristen nicht eingehalten“
Der Branchendienst „Musical 1“ hat vom lizenzgebenden Gallissas Theaterverlag in Berlin erfahren, dass die Zusammenarbeit zunächst auch sehr erfreulich verlaufen sei. „Dann aber wurden Zahlungsfristen nicht eingehalten, und der Produzent habe mitgeteilt, dass er die Zahlungsziele nicht mehr bedienen könne.“ Wie die schon gekauften Tickets erstattet werden, ist momentan noch nicht bekannt. Nach Kenntnis von Gallissas wird „der Produzent Rhein-Main-Entertainment RME GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Florian Willmanns, heute Insolvenz anmelden“. Der Verlag habe Willmanns nur die Aufführungsrechte an dem Werk eingeräumt und könne weitere Fragen nicht beantworten. Das in Trier ansässige Ticket-Verkaufsunternehmen Team Ticket Regional reagierte gestern überrascht auf die Entwicklung und wollte zunächst den Veranstalter kontaktieren. Auf der Internetseite www.jeannedarc-musical.de wurde der Ticketverkauf gestern im Lauf des Vormittags „vorübergehend gestoppt“. Wie viele Tickets schon verkauft wurden, unterliege dem Datenschutz, heißt es. Wer das Geld für die Tickets erstatte, müsse noch geklärt werden.
Völlig überrascht von der Nachricht wurde auch Bürgermeister Joachim Reimann (CDU). Reimann sorgt sich um das Renommee und die Zukunft der Spielstätte. Auch für den Bürgermeister war der gescheiterte Produzent Willmanns gestern nicht zu sprechen. Reimann geht davon aus, dass in Kürze wohl eine Insolvenzverwaltung Kontakt zur Gemeinde aufnehmen wird. Hinweise auf einen Flop habe es nicht gegeben. Er habe sich nur gewundert, dass noch keine große Werbekampagne gefahren worden sei. Ursprünglich hatte die Premiere des im September vergangenen Jahres angekündigten Musicals schon im Februar stattfinden sollen. Nach einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Konzertveranstalter Depro über die Laufzeit des Pachtvertrags für das Theater war die Premiere dann auf den 25. Juni verlegt worden.
Als Produzent des Musicals trat Florian Willmanns, Geschäftsführer der neu gegründeten RME Rhein-Main-Entertainment GmbH, auf, ein branchenfremder Systemgastronom aus Bitburg. Willmanns hatte von der bisherigen Eigentümerin des Theaters, der Feria Bau KG von Unternehmer Peter Buck, die Anteile an der Musicalgesellschaft samt Gebäude übernommen. Willmanns sprach bei der Vorstellung seiner Pläne im September vergangenen Jahres davon, nach „Jeanne d’Arc“, das mindestens bis zum Jahresende 2016 laufen sollte, noch weitere Musicals in Niedernhausen zeigen zu wollen.
Das Theater hat rund 1570 Sitzplätze, die zu Preisen zwischen 39 und 99 Euro angeboten werden sollten. Schon bei einer Auslastung von 39 Prozent werde das Stück schwarze Zahlen schreiben, hieß es im Herbst voller Optimismus. Für die „Welturaufführung“ von „Jeanne d’Arc“ hatten sich angeblich 1700 Künstler beworben, 160 durften sich vorstellen. Rund 30 wurden schließlich für das Stück verpflichtet, die Besetzungsliste war erst vor wenigen Wochen veröffentlicht worden. Die Künstler sollten von einem Live-Orchester begleitet werden.
Das Aus für „Jeanne d’Arc“ dürfte auch das vorläufige Aus für die Spielstätte Niedernhausen bedeuten, denn Konzertveranstalter Depro beendet nach der Kündigung der Verträge sein Engagement fristgemäß Anfang Mai. Neben einer Muttertagsgala gibt es zum Abschied ausgerechnet das aktuelle Tourprogramm des Musikers Gregor Meyle: „Das Beste kommt noch“.