Ethnologin Susanne Schröter : „Das Kopftuch ist kein Zeichen der Befreiung“
- -Aktualisiert am
Sieht Verschleierung kritisch: Ethnologin Susanne Schröter Bild: Wolfgang Eilmes
Muslimische Mode ist ein Trendthema der Branche. Die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter warnt davor, dass die neue Begeisterung für das Kopftuch den konservativen Islam stärken wird.
Susanne Schröter ist Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe-Universität. Sie engagiert sich unter anderem im wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung, in der Hessischen Integrationskonferenz und im Hessischen Präventionsnetzwerk gegen Salafismus. Im Beck-Verlag ist von ihr zuletzt das Buch „Allahs Karawane“ erschienen, in dem sie sich mit der Vielfalt und Diversität des muslimischen Glaubens auseinandersetzt.
Frau Schröter, der Hidschab gilt seit einiger Zeit als begehrtes Mode-Accessoire, bekannte Marken werben mit Kopftuch tragenden Models. Wie wurde das Kopftuch „cool“?
Die Bekleidungsindustrie orientiert sich an der Nachfrage. In muslimisch geprägten Ländern wie Malaysia und Indonesien habe ich bei meinen Forschungen bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Aufkommen einer prosperierenden, dezidiert islamischen Modeindustrie beobachtet. Da gab es bereits Catwalks mit verschleierten Models. In westlichen Ländern ist dieser Trend mit einer zehn- bis fünfzehnjährigen Verspätung zu beobachten.
Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Ist die Begeisterung für muslimische Mode ein Zeichen der Toleranz?
Diejenigen, die den Hype um die islamische Mode vorantrieben, waren ausnahmslos Angehörige fundamentalistischer Gruppen, die gleichzeitig gegen Frauen mobil machten, die sich nicht verschleierten. In Indonesien wurde aus diesen Kreisen eine Kampagne gestartet, mit der Kleidung unter Strafe gestellt werden sollte, die auf Männer anziehend wirken könnte. Dazu gehört, je nach Auslegung, bereits eine enge Jeans oder ein T-Shirt. Auch in westlichen Ländern ist die islamische Mode kein emanzipativer, sondern ein sehr patriarchalischer Ansatz: Die Frau soll ihre Sittsamkeit demonstrieren und gleichzeitig für den Mann nett anzuschauen sein.
Die Wahrnehmung des Hidschabs hat sich aber stark gewandelt: Wurde das Kopftuch früher als Instrument der Unterdrückung gesehen, wird es heute oft als Symbol für weibliche Selbstbehauptung interpretiert.
Der theologische und historische Kontext des Kopftuches und der islamischen Bekleidung ist alles andere als emanzipativ. Frauen sollen ihre Reize verbergen, weil sie nur dann vor sexueller Gewalt geschützt seien: Das ist die Begründung, die auch heute noch gegeben wird. Umgekehrt wird damit einer nicht verhüllten Frau die Schuld für sexuellen Missbrauch gegeben. Muslimische Frauen aus konservativen Familien unterliegen auch in Deutschland einem Verschleierungszwang. Sie werden als gott- und ehrlos beschimpft, wenn sie sich den Verhüllungsvorschriften widersetzen, und müssen mit Repression bis hin zu körperlicher Gewalt rechnen. Wenn man das bedenkt, erscheint es reichlich abwegig, das Kopftuch als Symbol für weibliches Empowerment zu deuten. Damit sage ich nicht, dass jede Frau, die in Deutschland ein Kopftuch trägt, dazu genötigt wurde. In einer freien Gesellschaft wie der unsrigen können sich Frauen, die aus liberalen Familien kommen, aus eigenen Stücken dafür entscheiden. Ich habe dagegen nichts einzuwenden, gebe aber zu bedenken, dass diese Freiheit für viele Frauen gar nicht besteht.
Sehen Sie die Gefahr, dass mit dem Hype um Hidschab und Co. auch ein Nährboden für Islamismus entsteht?
Der westliche Hype um das Kopftuch beruht auf einer Unkenntnis der Kontexte. Gerade Nichtmusliminnen sind von der Exotik islamischer Mode fasziniert und fühlen sich weltoffen und tolerant, wenn sie diese zu Zeichen der Befreiung stilisieren. Leider befördern sie damit eine sehr konservative Form des Islams, die für viele Frauen Zwang und Unterdrückung bedeutet. Ich würde dazu raten, sich einmal die verzweifelten Widerstandsaktionen von Frauen in islamischen Ländern anzuschauen, die mit drakonischen Strafen rechnen müssen, wenn sie das Kopftuch abziehen.
Aber ist es für junge Musliminnen nicht auch ein Fortschritt, dass das Kopftuch nun nicht mehr verpönt ist, weil sie dadurch gleichzeitig religiös leben und eine starke, erfolgreiche Frau sein können?
Das Argument, dass kopftuchtragende Frauen nur ihre Religion ausleben wollen, wird gerade von Fundamentalistinnen vorgetragen. Auch die großen islamischen Verbände vertreten diese Position. Dabei wäre allerdings zu fragen, welches Islamverständnis dahintersteht. Liberale und säkular orientierte Musliminnen tragen nämlich kein Kopftuch. Und progressive muslimische Theologen und Theologinnen halten dies auch aus theologischer Sicht nicht für verpflichtend.