Musik-Festival abgesagt : „Es ist eine Katastrophe“
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Mit Abstand geht nicht: Michael Herrmann, Intendant des Rheingau Musik Festivals, vor ungewisser Zukunft Bild: Frank Röth
Das Rheingau Musik Festival, eines der größten Europas, fällt aus. Intendant Michael Herrmann blickt skeptisch in die Zukunft.
Freiheit“ hätte das Motto lauten sollen. Das 33. Rheingau Musik Festival wollte von 20. Juni bis 5. September 137 Konzerte an 33 Spielstätten im Rheingau und in benachbarten Regionen bieten, mit großen Chorkonzerten in der Basilika von Kloster Eberbach, mit Gastspielen etwa des Pittsburgh Symphony Orchestra oder des Chamber Orchestra of Europe in Wiesbaden, mit international gefragten Stars wie Anne-Sophie Mutter, Jan Lisiecki, Lisa Batiashvili oder Julia Lezhneva, aber auch mit vielen Nachwuchskünstlern, von Jazz bis zu Familienkonzerten. Einem Programm also, das Zuhörer aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland anzieht und das Musikfestival zu einem der größten Europas macht.
Als eines der letzten, nicht unerwartet, ist es im Kampf gegen die Corona-Pandemie nun endgültig abgesagt worden. Michael Herrmann, der das privat finanzierte Festival 1987 gegründet hat, es von den kleinen Anfängen zu dieser Größe führte und mit 76 Jahren weiterhin als Intendant und Geschäftsführer lenkt, ist im Gespräch unmittelbar nach dem Verbot eine Ratlosigkeit anzumerken, wie man sie von dem altgedienten und bestens vernetzten Kulturmanager nicht kannte.
Das Festival finanziert seinen seit vielen Jahren konstant bei acht Millionen Euro liegenden Gesamtetat je zur Hälfte aus Sponsorengeldern und dem Kartenverkauf und erhält nur einen minimalen öffentlichen Zuschuss des Landes Hessen in Höhe von 25.000 Euro. Von 121.000 Karten waren schon 80.000 verkauft. Das ist durchaus üblich, denn die fast 4000 Mitglieder des Fördervereins nutzen rege ihr Vorkaufsrecht. Vor diesem Hintergrund appelliert Herrmann mit einem Video an die Festivalfreunde und die „Partner aus der Wirtschaft“, sich solidarisch zu zeigen und auf die Rückerstattung der erworbenen Karten möglichst zu verzichten – und beim Sponsoring frühzeitig eine Zusage für 2021 abzugeben.
Zwei Jahre Planung
Bei Festivals dieser Größenordnung erstreckt sich die Planung oft über zwei bis drei Jahre. Schon jetzt sind für diese Arbeiten, für Druckwerke und Werbung etwa, zwei Millionen Euro angefallen. Die Planungen für das Festival 2021 liefen zunächst weiter, sagte Herrmann. Es müsse dazu wohl ein Kredit aufgenommen werden. Von den 20 festangestellten Mitarbeitern solle niemand entlassen werden, für diejenigen, die während der Saison für Konzertorganisation und Künstlerbetreuung zuständig seien, müsse Kurzarbeitergeld beantragt werden. Der Kollateralschaden für den Rheingau und die Region dürfte groß sein. Für die Basilika von Kloster Eberbach und das Kurhaus Wiesbaden ist das Festival Hauptmieter. Übernachtungen, die Belebung der Gastronomie und des Weinverkaufs, Jobs etwa für Hostessen und Parkplatzanweiser, der Druck von Programmheften entfallen. Künstler gehen leer aus, da sich das Festival auf die in den Verträgen stehende Klausel zur „höheren Gewalt“ berufen kann.
Dass in privat finanzierten Konzerten Abstandsregelungen für das Publikum durchgesetzt werden könnten, erklärt Herrmann für illusorisch: „Wenn das etwa im 480 Plätze bietenden Metternich-Saal von Schloss Johannisberg greifen sollte, dürften wir nur 52 Leute reinlassen“. Das sei auch atmosphärisch gespenstisch. Orchesterkonzerte seien ganz unmöglich, da Musiker nun einmal eng beieinander sitzen müssen. Man müsse sich dazu das Publikum vorstellen, wie es mit Schutzmasken an Boden-Markierungen auf den Einlass wartet. Viele Besucher hätten dann sicher Angst und blieben den Konzerten fern.
Skeptischer Blick auf die kommende Saison
Insofern blickt Herrmann, der mit dem Festivalteam auch die Konzerte der Frankfurter Konzertdirektion Pro Arte in der Alten Oper und über das Unternehmen Wiesbaden Musik auch die Wiesbadener Meisterkonzerte im Kurhaus organisiert, sehr skeptisch auf die Saison 2020/21, die im Herbst beginnen soll. Wenn in diesen Sälen nur jeder zweite Sitz besetzt werden dürfte, werde nicht die nötige Auslastung erreicht. Ein Gastspiel etwa des London Philharmonic Orchestra koste etwa 180.000 Euro zuzüglich Solistengage. Das sei nur bei einer Auslastung von 80 bis 85 Prozent kostendeckend zu verwirklichen.
Herrmann ist mit dem Ministerpräsidenten Volker Bouffier befreundet, der hessische Finanzminister Michael Boddenberg (beide CDU) ist Mitglied des Festival-Kuratoriums. Alle stünden jetzt bei den Politikern auf der Matte, sagt Herrmann in seiner gewohnt lakonischen Art und fügt dann doch sehr ernst hinzu: „Es ist eine Katastrophe.“ Und: „Ich könnte heulen, wenn ich das noch gedruckte Festivalprogramm mit Daniel Barenboim auf dem Cover sehe.“ Jetzt bleibe nur die Hoffnung auf einen Impfstoff.