Frankfurter Ethnologin : Immer mehr Frauen gehen zum „Islamischen Staat“
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Ein Weg, wie Frauen in die Kreise von Dschihadisten geraten, sei die „Lies-Kampagne. Hier verteilen Teilnehmer Korane auf der Frankfurter Zeil. Bild: Frank Röth
Ständig steigt die Zahl der Frauen, die ausreisen, um den sogenannten „Islamischen Staat“ zu unterstützen. Das sagt die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter. Auch verdeckte Prostitution sei dabei nicht ausgeschlossen.
Der „Islamische Staat“ zieht aus Deutschland nicht nur immer mehr Männer an, die kämpfen und ihn unterstützen wollen, sondern auch immer mehr Frauen. „Die Zahl ausreisender Frauen steigt ständig“, sagt Susanne Schröter, Leiterin des an der Goethe-Universität angesiedelten Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam.
Wie viele es sind, darüber gibt es verschiedene Angaben. Schröter zufolge sind rund 30Prozent derer, die aus Deutschland in die Kampfgebiete reisen, Frauen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz gibt deren Anteil mit etwa 20Prozent an, spricht aber auch von einer „deutlichen Zunahme“. Zudem gebe es eine Dunkelziffer. Insgesamt sind der Behörde zufolge aus Deutschland bisher 720Männer und Frauen nach Syrien und in den Irak gereist. Davon stammen dem Vernehmen nach 120 aus Hessen; die Frauenquote liegt ungefähr bei einem Fünftel.
„Hauptmotiv ist, einen Kämpfer zu heiraten“
Warum entscheiden sich Frauen zur Ausreise? Manche Frauen aus Zuwandererfamilien verbänden damit eine größere Selbständigkeit, sagt Schröter. „Es wird eine Idee von Gleichheit suggeriert, auch wenn die Frauen diese nicht bekommen.“ Ein anderes Motiv bestehe darin, sich als Teil eines großen Projekts zu fühlen, für das der „Islamische Staat“ stehe. Drittens wirke der „einfache Lebensentwurf“ attraktiv: Ehefrau und Mutter zu sein und Respekt dafür zu bekommen, Kinder zu haben. „Das Hauptmotiv ist, einen Kämpfer zu heiraten“, sagt Schröter. Die Ethnologin, zu deren Forschungsschwerpunkten der islamische Extremismus gehört, schreibt gerade an einem Buch über die Geschlechterverhältnisse im Dschihadismus; es soll bis zum Jahresende fertig sein.
Wie alle Ausländerinnen werden auch die aus Deutschland kommenden Frauen im „Islamischen Staat“ mit ausländischen Kämpfern verheiratet, wie Schröter sagt. Die Frauen stammten zumeist aus „ganz normalen Familien“, auch Gymnasiastinnen und Studentinnen seien darunter.
Wie Frauen sich radikalisieren
Nach Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz ist mehr als die Hälfte der Frauen zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 25 Jahre, und etwa 15 Prozent sind minderjährig. Wie sich Frauen im „Islamischen Staat“ zu verhalten haben, beschreibt ein zu Jahresbeginn veröffentlichter Text der Al-Khansa-Frauenbrigade, einer Art Sittenpolizei: Er schreibt unter anderem die Dominanz der Männer und die Abkehr von westlichen Rollenbildern fest.

Beziehungen in das dschihadistische Milieu sowie zu Kontaktleuten für eine Ausreise bekommen junge Frauen wie Männer in Deutschland Schröter zufolge vor allem über ihre Bezugsgruppen, auf Schulhöfen, durch radikale Prediger in Moschee-Seminaren, die bekannte salafistische Koran-Aktion „Lies“ und im Internet. Anders als es kursierende Bilder vermuten ließen, würden Frauen aber nicht im Kampf eingesetzt. „Frauen haben die Kämpfer im Haus zu versorgen.“ Dass es solche Bilder dennoch gibt, führt Schröter darauf zurück, dass Frauen sich „cool inszenieren“ wollten.
Gerade Ausländerinnen sind schutzlos
Über die „Schattenseiten“ des Lebens der Frauen im „Islamischen Staat“ ist wenig bekannt, wie Schröter sagt. Aussteigerinnen gebe es nur vereinzelt, und wieder ausreisen könnten Frauen kaum. „Der ,Islamische Staat‘ kontrolliert alles.“ Bekannt sei jedoch, dass eine Frau als Zweit-, Dritt- oder Viertfrau weiterverheiratet werde, wenn ihr Mann gestorben sei oder sie nicht mehr haben wolle. Gerade Ausländerinnen seien ihren Ehemännern und den patriarchalischen Machtverhältnissen schutzlos ausgeliefert. „Der Heirats-Dschihadismus kann in verdeckter Prostitution enden.“
Noch aber sprechen die Zahlen nicht dafür, dass es für Männer und Frauen aus dem Ausland unattraktiv geworden wäre, sich auf den Weg nach Syrien oder in den Irak zu machen. Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen sagt es so: „Auch über den Sommer 2015 bleibt der sogenannte Islamische Staat für junge Islamisten aus Deutschland ein gefährlich-verlockendes Ziel.“