Hundert Jahre Sechstagerennen in Frankfurt : Pistenprofis - angehimmelt wie Hollywoodstars
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Das Rennen wurde zwar von sechs bis zwölf Uhr mittags unter Ausschluss der Öffentlichkeit neutralisiert. Aber ein Fahrer jeder Mannschaft musste auf der Bahn sein. Drei Stunden Schlaf für jeden mussten reichen. Während der eine in den Kabinenkatakomben schnarchte, drehte der andere mit Pudelmütze, Strickjacke und langer Strickhose auf einem Spezialrad mit kleinster Übersetzung seine Schneckenrunden, legte dabei einen Fuß auf den Lenker und vertrieb sich mit Zeitunglesen die Zeit. Wenn sich einer vor Müdigkeit hinlegte, brüllte der Aufpasser durch die gespenstisch leere Festhalle: „Lakeman, sofort aufs Rad, sonst gibt‘s Strafrunden und Geldstrafe.“ Henk Lakeman, ein lustiger Holländer, hielt sich dann mit lautem Singen wach. Mit seiner wohlklingenden Stimme intonierte er Peter Alexanders ersten Schlager: „Das machen nur die Beine von - Carrara...“ Nicht Dolores.
Die deutschen Außenseiter aus den Augen verloren
Èmile Carrara war ein weiterer Beau, der mit seinen glattrasierten, ölglänzenden Beinen die Weiblichkeit entzückte. Mit seinem ständigen Partner Guy Lapébie und den Italienern Rigoni/Terruzzi gehörte der Franzose zu den Favoriten, die nur eines im Sinn hatten: Jeder, nur nicht der Straßenkönig Koblet mit seinem Landsmann Armin von Büren, durfte gewinnen. Dem jungen Frankfurter Lokalmatador Theo Intra, 21 Jahre alt, wurde der erfahrene Schweizer Jean Roth zur Seite gegeben, den sie „Düsenjäger“ nannten. Wenn Roth zur Rundenjagd antrat und mit rundem Buckel durch die enge Kurve düste, tobte die stets mit 10000 Besuchern vollbesetzte Halle.
Weil sie sich nur gegenseitig beäugten, verloren die ausländischen Stars die deutschen Außenseiter im dramatischen Finale aus den Augen. „Wiggerl“ Hörmann und Harry Saager, die am Schlussabend ihre Standardpartner durch Stürze verloren hatten, die Brüder Hans und Waldemar Knoke, lagen als neugebildete Zufallsmannschaft auf einmal mit zwei Runden vorn und gewannen vor Roth/Intra. Koblet/von Büren siegten dann 1952 und 1953. Carrara/Lapébie und Rigoni/Terruzzi aber fehlen in der Frankfurter Siegerliste.
„Das kann man sich heute alles gar nicht mehr vorstellen“,
Das waren noch die guten alten Zeiten, ohne Fernseher in jeder deutschen Wohnstube. Die Halle war jede Nacht brechend voll. Die Frankfurter Berühmtheiten und Betuchten trafen sich bei Champagner in den Innenraumlogen. Benno Schilling sorgte mit seiner HR-Band musikalisch für Stimmung, wenn das Fahrerfeld die Beine hochnahm und nur zu Prämienspurts energisch in die Pedale trat. Die Gewinne, vom Kühlschrank bis zu Kaffeemaschine, wurden in der Messehalle gegenüber gestapelt und nach dem Rennen zu Schnäppchenpreisen verhökert.