Atomkraftwerk Biblis : RWE fordert 235 Millionen von Land und Bund
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Auslaufmodell: Das Atomkraftwerk in Biblis soll abgerissen werden. Bild: Oliver Tjaden/laif
Der Schadensersatzprozess um die Stilllegung der Meiler in Biblis beginnt. Die Opposition sieht die Regierung um Ministerpräsident Bouffier in der Schuld, diese begründet die rechtswidrige Entscheidung mit der Weisung aus Berlin.
Die Arbeit des Biblis-Untersuchungsausschusses im Hessischen Landtag neigt sich dem Ende zu. Heute will das Gremium, das herausfinden soll, wer für Rechtsfehler bei der Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis im März 2011 verantwortlich ist, das Ende der Beweisaufnahme beschließen. Darüber sind sich die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen mit der SPD-Opposition einig, für die Bewertung der Ereignisse nach der Atomkatastrophe von Fukushima gilt das hingegen dezidiert nicht.
Aus Sicht der Vertreter von SPD, Linkspartei und FDP tragen Ministerpräsident Volker Bouffier und die damalige Umweltministerin und heutige Europaministerin Lucia Puttrich (beide CDU) die zentrale Verantwortung für die rechtswidrige Stilllegung der Reaktoren in Biblis. Nach Meinung von Union und Grünen wurde die politische Entscheidung hingegen in Berlin getroffen, bevor die Länder eingebunden worden seien, die die Entscheidung „eins zu eins“ in die Tat hätten umsetzen müssen. Das Bundesumweltministerium habe die falsche Rechtsgrundlage, Begründung und einen einheitlichen Verwaltungsvollzug für die Stilllegungsverfügung vorgegeben, argumentiert der CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss, Holger Bellino.
RWE klagt nicht gegen entgangene Erlöse durch Stromverkauf
Während die parlamentarische Überprüfung der Ereignisse vor dem Abschluss steht, beginnt vor dem Landgericht Essen morgen die juristische Aufarbeitung. Die RWE Power AG als Betreiber hat das Land und den Bund verklagt, weil sie Biblis vom 18.März bis zum 5.August 2011 abschalten musste. Durch den Stillstand der Meiler in dieser Zeit sei dem RWE-Konzern ein Schaden in Höhe von 235310891,60 Euro entstanden. Allerdings klagt RWE Power mit der 235-Millionen-Forderung nicht die entgangenen Erlöse aus dem Verkauf des in Biblis erzeugten Stroms ein. Vielmehr behauptet das Unternehmen, der Strom aus den Atomkraftwerken sei bereits Jahre im Voraus vermarktet worden. Um diese schon abgeschlossenen Veräußerungen erfüllen zu können, sei der Zukauf von Strom nötig geworden. Die Kosten dieser sogenannten Deckungszukäufe macht RWE Power vor Gericht als Schaden geltend.
Aus Sicht des Landes Hessen hat das Unternehmen derartige Deckungsgeschäfte jedoch nicht getätigt, sie könnten allenfalls von der Handels- und Vertriebsgesellschaft des RWE-Konzerns vorgenommen worden sein. Diese Gesellschaft sei jedoch nicht die Klägerin, argumentiert die Landesregierung, deshalb klage RWE Power ohne Berechtigung einen fremden Schaden ein. RWE Power habe auch keinen einzigen Vertrag präsentiert, der solche Geschäfte belege.
Vor allem aber ist dem RWE-Konzern durch das von der Bundesregierung nach Fukushima verkündete Betriebsmoratorium für die ältesten deutschen Atomkraftwerke nach Auffassung des Landes überhaupt kein Schaden entstanden. Das in Berlin verkündete Moratorium habe nämlich zu einem erheblichen Strompreisanstieg geführt, und RWE habe mit dem Strom aus seinen weiterhin produzierenden anderen Kraftwerken höhere Erlöse erzielt. Nach den Schätzungen des Landes übersteigen diese Mehreinnahmen den für Biblis geltend gemachten Schaden. Außerdem lasse RWE außer acht, dass Block B in Biblis wegen einer laufenden Revision ohnehin keinen Strom habe liefern können und Block A wegen regelmäßiger Ausfälle deutlich weniger Strom produziert habe als möglich.
Bund sieht Schuld beim Land - das Land sieht die Schuld beim Bund
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte 2013 entschieden, dass die Anordnung des hessischen Umweltministeriums zur Stilllegung von Biblis rechtswidrig war. Das Land habe den Betreiber RWE nicht ordnungsgemäß angehört und auch nicht ausreichend geprüft, ob die Voraussetzungen für das Abschalten gegeben gewesen seien. Zwar konzedierten die Richter, nach dem Unglück in Fukushima hätten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder mit Atomkraftwerken auf den Betriebsstopp der älteren Meiler festgelegt. Jedoch sei dies keine verbindliche Weisung im Sinne des Atomgesetzes gewesen, sondern eine politische Bewertung. Das hessische Umweltministerium als Atomaufsichtsbehörde für die Anlagen in Biblis hätte die Voraussetzungen für die Stilllegung selbst prüfen müssen, entschied der Gerichtshof.
Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich im Dezember 2013 der Einschätzung an, dass der Verzicht auf eine Anhörung von RWE rechtswidrig war. Zu der Frage, ob und inwieweit das Bundesumweltministerium bei der Stilllegung die Sachkompetenz an sich gezogen und damit die rechtliche Verantwortung übernommen habe, äußerten sich die Richter nicht.
Während der Bund die Verantwortung für die fehlerhafte Stilllegung von Biblis bei der hessischen Landesregierung und diese wiederum die Schuld in Berlin sieht, zielt RWE mit ihrer Klage in beide Richtungen. Zwar habe das Land rechtswidrig gehandelt, der Bund sei allerdings in der Pflicht gewesen, die unrechtmäßige Stilllegungsverfügung des Landes zu verhindern, argumentieren die RWE-Anwälte im anstehenden Schadenersatzprozess.