Diabetiker-Warnhund : Der rettende Riecher
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Feines Näschen: Molly wird mit Hilfe einer Geruchsprobe zum Diabetiker-Warnhund ausgebildet. Bild: Rainer Wohlfahrt
Luna Marie ist zuckerkrank. Für sie gibt es seit kurzem einen besonderen Begleiter: die Hündin Molly. Aus ihr soll ein Diabetiker-Warnhund werden. Molly ist ein Naturtalent. Viel geübt werden muss trotzdem.
Auf den ersten Blick mutet es eigenartig an, was Jennifer Göckeritz im Tiefkühlschrank so alles aufbewahrt: ein zerschnittenes T-Shirt ihrer Tochter Luna Marie oder Wattepads, mit denen die Sechsjährige zuvor ihr Gesicht abgetupft oder die sie angehaucht hat, alles fein säuberlich verpackt in verschließbaren, mit Datum versehenen Plastikbeuteln. Natürlich liegen Stoffreste und Pads nicht ohne Grund im Eisfach. Sie sollen ihren Geruch möglichst lange behalten, damit der Australian Shepherd Molly etwas Wichtiges lernen kann: wie Luna Marie riecht, wenn sie unterzuckert ist. Vor einem Jahr wurde bei ihr Diabetes diagnostiziert. Molly soll ein Diabetiker-Warnhund werden, der kritische Werte frühzeitig anzeigen kann und so zum Beispiel Krämpfe oder Bewusstlosigkeit verhindert, die bei einer starken Unterzuckerung auftreten können. Gewissenhaft hat Jennifer Göckeritz auf den Beuteln auch den Blutzuckerwert notiert, den ihre Tochter hatte, als die Proben genommen wurden.
Die Familie, die im Michelstädter Stadtteil Vielbrunn wohnt, wollte sich ohnehin einen Hund zulegen und ihn darüber hinaus zum Warnhund ausbilden lassen. Jennifer Göckeritz informierte sich im Internet und fand die Adressen vieler Ausbilder. Sie suchte einen in der Nähe und stieß so auf Werner Thierolf, der in Höchst im Odenwald eine Hundeschule hat und Assistenzhunde ausbildet. Jennifer Göckeritz, ihr Mann Lars, Luna Marie und ihr zwei Jahre alter Bruder Leo entschieden sich für Molly, auch wenn Thierolf von agilen Hütehunden als Diabetiker-Warnhunden eher abrät, ebenso wie von Wach- oder Schutzhunden. „Wir haben uns bei mehreren Züchtern umgeschaut. Wir haben Molly gesehen, und wir waren uns sofort sicher“, sagt Jennifer Göckeritz.
Training mit Lob und Leckerli
Thierolf hält durchaus viel von der sensiblen, intelligenten Hündin. „Molly ist ein Naturtalent.“ Zum Beispiel fängt sie schon an, interessiert zu schnuppern, wenn Jennifer Göckeritz eine Geruchsprobe aus einer Tüte nimmt. Aber der Hündin all die erforderlichen Schritte beizubringen ist mit viel Arbeit verbunden, zumal sie außer dem speziellen Training noch viel Grunderziehung braucht. Die Familie muss jeden Tag mit ihr üben, einmal in der Woche kommt Thierolf zu ihr. Noch ist Molly am Anfang der Ausbildung. Sie ist acht Monate alt, im Dezember begann das Training mit den Geruchsproben, damit die Hündin den Normalzustand des Blutzuckers und den Abfall des Blutzuckerspiegels voneinander unterscheiden kann.
Eine Übungseinheit besteht darin, eine Probe aus einem Beutel in ein offenes Glas zu legen und Molly zu belohnen, wenn sie daran riecht. Dazu darf die Probe nur mit einer Pinzette angefasst werden, damit sie keine anderen Gerüche aufnimmt. Belohnt wird die Hündin auch - mit einem Lob und einem eigens für das Training vorgesehenen Leckerli -, wenn sie von zwei Gläsern dasjenige ansteuert, in dem die Probe liegt. Auch kann die Probe in ein Stofftier gesteckt werden, das die Hündin suchen muss. Weitere wichtige Schritte folgen im Lauf der Zeit: Die Hündin muss etwa lernen, dass sie Veränderungen mit einem Anstupsen oder dem Auflegen der Pfote meldet, einen Beutel mit dem Messgerät oder einem Traubenzucker bringt, die Eltern warnt. So wird nach und nach eine ganze Handlungskette aufgebaut, und Mollys Talent wird in die richtigen Bahnen gelenkt, damit sie vorbeugend tätig werden kann - vor allem nachts, wenn das Mädchen schläft. „Das wäre eine große Hilfe für uns“, sagt Jennifer Göckeritz.
Die Ausbildung ist nicht billig
Wenn Luna Marie überzuckert ist, knurrt die Hündin freundlich. Anfangs wusste die Familie das nicht recht zu deuten, entdeckte aber dann den Zusammenhang mit dem Blutzuckerspiegel. „Man muss den Hund lesen lernen“, umreißt Thierolf eine weitere Aufgabe. Außerdem müssen die Übungen nicht nur regelmäßig, sondern sorgfältig gemacht werden, aber ohne den Hund zu überfordern. Molly muss rasch und im richtigen Moment gelobt werden, damit sie das lernt, was sie lernen soll. Schnell kann ein Hund ein Lob mit einem anderen Verhalten verknüpfen, so dass man dies wieder korrigieren muss. Thierolf rät interessierten Diabetikern, sich über Ausbilder, deren „Art, mit Menschen und Hunden umzugehen“ und deren Trainingserfahrungen genau zu informieren, zu prüfen, ob die Schulung mit einem bereits vorhandenen Hund sinnvoll ist, und Preise miteinander zu vergleichen.
Er selbst favorisiert die Ausbildung in einer Familie, sofern diese in ausreichendem Maß mitmacht. Prinzipiell gibt es auch die Möglichkeit, Hunde woanders ausbilden zu lassen und sie erst danach zu übernehmen. Die zweijährige Ausbildung von Molly kann bis zu 4000 Euro kosten. Einen Teil der Kosten übernimmt der 2001 gegründete Verein „Aktive Lebenshilfe mit Hunden“, dessen Vorsitzender Thierolf ist. An Entscheidungen über Fördermittel ist er jedoch nicht beteiligt, wie er sagt. Die Ausbildung von Diabetiker-Warnhunden ist eines von mehreren Projekten, die der Verein unterstützt. Um Geld einzunehmen, ist er auf Spender und Sponsoren angewiesen. Allein sechs Diabetiker-Warnhunde bildet Thierolf derzeit aus. Ihm liegt viel an der Ausbildung dieser wie anderer Servicehunde. Neben dem „normalen“ Angebot der Hundeschule macht sie inzwischen die Hälfte seiner Arbeit aus - mit steigender Tendenz.