Zum Jahreswechsel : Warum auch im neuen Jahr die Hoffnung nicht sterben darf
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Wünsch dir was! Die Zukunft bereits jetzt abzuschreiben, hilft nicht weiter. Bild: dpa
Warum es noch immer richtig ist, sich zu verabreden, in den Urlaub zu fahren, zur Arbeit zu gehen. Die Alternative wäre, an der Gegenwart zu ersticken.
Da ist der Gastwirt, der alles versucht hat, um sich an die jeweils gültigen Corona-Bedingungen anzupassen. Er hat längst eine App für Bestellungen, aber auch Schwierigkeiten, Personal zu finden – mancher hat sich in den vergangenen Monaten anders orientiert. Insgesamt 15 Prozent Gehaltserhöhung gibt es deshalb in der Gastronomie, in zwei Schritten bis Januar 2023. Da ist die Pflegedirektorin eines großen Klinikums, die ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen, um jeden einzelnen Mitarbeiter in der Pflege kämpfen muss – und deshalb ungewöhnliche Wege geht.
In beiden Fällen, weder in der Gastronomie noch in der Pflege, wird Geld allein reichen, die Folgen aus der Corona-Zeit zu kompensieren. Und doch wird gekämpft: Da sind die Ärzte, die in Mittagspausen und an Wochenenden impfen, um alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit die Pandemie überwunden werden kann. Und es gibt in allen großen und kleinen Betrieben in jedem Team das Bemühen, die Truppe zusammenzuhalten, trotz Corona, trotz ausgefallener Feierlichkeiten, man passt aufeinander auf. Durch die Folgen der Corona-Pandemie erkennt man erst, was es für eine Kraft hat, wenn Menschen sich persönlich austauschen.
Corona wird uns nicht für immer einschränken
Und da sind die Besorgten, die uns viele Leserbriefe schreiben, weil sie ihr Vertrauen verlieren, in die Politik, in Impfstoffe, auch in den Journalismus. Die sich gar nicht mehr beruhigen lassen wollen, weil die Welt so sehr in Unordnung geraten ist. Zudem gibt es in allen Branchen viele Angestellte, die mit der neuen Arbeitswelt im Home Office eher schlecht als gut zurechtkommen, die trotz aller Bemühungen die Anbindung an ihre Kollegen verlieren, Schwierigkeiten haben, ihrem Leben Halt in neuen Routinen zu geben. Eltern, die sich um die Bildung ihrer Kinder Sorgen machen, junge Erwachsene, die nicht richtig in ihr junges Erwachsenenleben starten können. Ihnen muss man zu einem weiteren Jahreswechsel zurufen: Corona, jedenfalls in seiner akuten, das Leben stark einschränkenden Form, wird nicht für immer bleiben.
Außerdem gibt es schon jetzt nicht nur Corona – der Klimawandel ist auch noch da, die Digitalisierung, mit ihren lange nicht umfassend absehbaren Konsequenzen auf Alltag und Arbeitsleben. Beides hat auch erhebliche Auswirkungen unmittelbar vor der eigenen Haustür. Dafür reicht ein Blick auf die vielen neuen Rechenzentren, die in Frankfurt entstehen, die in einer einzigen Sekunde eine Datenmenge verarbeiten, die die menschliche Vorstellungskraft nicht mehr fassen kann – und dabei eine große Menge Strom verbrauchen. Mit beiden Einflüssen, dem Klima und der Digitalisierung, ist eine weitere Verunsicherung verbunden, über Corona hinaus.
Ohne Optimismus geht es nicht
Nicht allen Menschen fällt es leicht, sich an neue Softwarelösungen im Betrieb zu gewöhnen, an zahlreiche organisatorische Änderungen, die der Wandel des jeweiligen Geschäftsmodells des Arbeitgebers erzwingt. Und rund um das Klima kann es erhellend sein, sich mit einem Fischer an der See zu unterhalten. Es wird zwar immer leichter, den Fang zu verkaufen, denn die Nachfrage steigt. Allerdings landen kaum noch Heringe oder Dorsche im Netz. Die See ist im Winter nicht mehr kalt genug. Räumlich näher liegend wiederum ist ein Waldspaziergang mit einem Förster von HessenForst. In den Wäldern hat der Borkenkäfer in den vergangenen Jahren wegen Trockenheit und Hitze optimale Bedingungen vorgefunden. Die Bäume aber, die er befallen hat, sind jetzt weg.
Was soll man zum Jahreswechsel beim Blick auf diese Entwicklungen hoffen? Ist Optimismus überhaupt das Richtige, wo doch an so vielen Stellen gehadert werden darf? Ist zu Silvester Erwartung erlaubt? Ja, denn ohne Glaube ginge es nicht: In einem alten Buch aus der Bibliothek des lange verstorbenen Vaters steht dazu Interessantes. Einmal abgesehen davon, dass es zu allen Zeiten immer wieder genug Gründe gegeben hätte, alle Hoffnung fahren zu lassen: „Hoffen“, so heißt es da, bedeute etwas Wichtiges zu erwarten, es zu wünschen, es zu planen, es zu ersehnen.
Gegenwart ist nur eine Zwischenstation
Forscher und Liebende könnten nicht finden, wenn sie nicht suchten, sie könnten nicht suchen, wenn sie nicht zu finden hofften. Das stimmt: Wir träfen keine Verabredungen (vielleicht derzeit nicht mit so vielen Menschen), führen nicht in den Urlaub (vielleicht nicht so weit weg), gingen nicht zur Arbeit (wenn auch nur ins Home Office), wenn wir nicht hofften, dass es gut für uns wäre. Kinder kämen nicht zur Welt, wenn Eltern nicht hofften, dass diese einmal ja sagen zu ihrem Leben. „Hoffnung ist der Stoff, aus dem unsere Seelen gemacht sind“, hat der französische Philosoph Gabriel Marcel einst geschrieben. Anders ausgedrückt: Wer keine Hoffnung hat, der erstickt an der Gegenwart.
„Nach uns wird kommen – nichts Nennenswertes.“ Dieses Wort von Bert Brecht könnte gerade in diesen Corona-Monaten den Leitspruch abgeben für alle, deren Horizont bei ihrem eigenen Wohlergehen endet. Doch ist vielleicht doch das, was nach uns kommen wird, das Nennenswertere? „Nicht was ist, ist schon wahr, sondern was wird, ist wahr“, schrieb der deutsche Philosoph Ernst Bloch. Alles ist immer im Fluss, das Festhalten am Hier und Jetzt reicht nicht aus. Die Gegenwart ist stets nur eine Station auf dem Weg in die Zukunft.
Was also kann man tun, um aus der unersetzlichen Hoffnung Gewissheit zu machen? Verantwortung übernehmen und weniger abblocken, aus Angst zu versagen; schuldig werden dürfen. Und danke sagen, für ein Jahr, das am Ende in den allermeisten Fällen doch irgendwie gelungen ist – trotz allem. In dem man viel zu lachen hatte, vielleicht sogar über die eigenen Unzulänglichkeiten.