Minderjährige Flüchtlinge : Wenn der Vormund zur Schwester wird
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Wegbegleiterin: Laura Weinkötz mit Naima Hassan Ahmed Bild: Michael Braunschädel
Wer als minderjähriger Flüchtling ohne Eltern nach Deutschland kommt, dem wird ein Vormund zur Seite gestellt. Für dieses Ehrenamt bildet der Frankfurter Kinderschutzbund Freiwillige aus.
An die erste Begegnung mit ihrem Schützling erinnert sich Laura Weinkötz, als wäre es gestern gewesen: „Ich weiß noch, dass Naima mich mit ganz großen Augen anschaute. Sie war so offen und aufmerksam.“ Zu diesem Zeitpunkt ist Naima Hassan Ahmed erst wenige Tage in Frankfurt, und Weinkötz weiß so gut wie nichts über sie: Name, Alter 15, Herkunftsland Somalia. Trotzdem habe sie nicht gezögert, sich als Vormund des Mädchens einsetzen zu lassen.
Auf was für eine turbulente Zeit sich die heute Einunddreißigjährige damit einlässt, ahnt sie freilich nur im Ansatz. Weinkötz sagt zu, weil sie für sich beschlossen hat, dass sie sich ehrenamtlich engagieren und „etwas zur Gesellschaft beitragen“ will. Um Menschen, denen es weniger gut geht, etwas abzugeben, wie sie sagt. Sie hat verschiedene Ehrenämter in Betracht gezogen, doch so richtig will sich nichts ergeben. Bis ihr ein Infoblatt des Kinderschutzbundes in die Hände fällt, das dafür wirbt, die Vormundschaft für junge Flüchtlinge zu übernehmen. Faktisch geht es darum, für die Minderjährigen rechtlich die Rolle der Eltern zu übernehmen, sie etwa im Verfahren um ihren künftigen Aufenthalt, aber auch gegenüber Bildungseinrichtungen oder Ärzten zu vertreten. Weinkötz bewirbt sich, absolviert neben ihrer Arbeit als Flugbegleiterin die Schulung beim Kinderschutzbund, der in über zehn Jahren schon gut 200 Menschen auf ihre künftige Rolle vorbereitet hat. Mehrere Monate beschäftigt sie sich mit Aspekten von Asylverfahren oder Angeboten zur Traumabewältigung, erfährt nach und nach, wie sich ein Vormund richtig verhält. Währenddessen ist Naima Hassan Ahmed, die einmal ihr Mündel werden soll, noch auf ihrem langen Weg von Somalia nach Frankfurt.
Eineinhalb Jahre auf der Flucht
Beinahe eineinhalb Jahre braucht das Mädchen, das von seiner Mutter im Alter von 14 Jahren ins Ungewisse losgeschickt worden ist, um hier anzukommen. Im Sommer 2020 hat sie Deutschland erreicht. Sie stamme aus einem kleinen Dorf in Somalia, erzählt Hassan Ahmed. Ihre Mutter habe in der Flucht für die Tochter die einzige Möglichkeit gesehen, sie vor einer erzwungenen Ehe mit einem um die 40 Jahre älteren Mann, einem Anhänger der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab, zu bewahren. Das Mädchen musste allein gehen, seine Familie zurücklassen. Schon kurz nach dem Aufbruch sei der Kontakt abgebrochen, erzählt sie.
Es ist schwer für die Somalierin, über ihre noch so nahe Vergangenheit zu sprechen. Während sie redet, streichelt Laura Weinkötz ihr die Hand, die beiden gehen sehr vertraut miteinander um. Eine typische Beziehung von Mündel und Vormund seien sie damit jedoch nicht, sagt Anja Sommer, die gemeinsam mit einer Kollegin das Projekt zur Gewinnung und Ausbildung von Vormündern beim Kinderschutzbund leitet. „Es gibt eine ganz große Spannbreite. Wie eng und persönlich die Beziehung wird, bleibt den Vormündern selbst überlassen“, erklärt sie.
Viele Freiwillige pflegten die Vormundschaft auf einer deutlich formelleren Ebene und regelten nur rechtliche Angelegenheiten. Grundsätzlich koste das Amt, das mit einer Aufwandsentschädigung von 400 Euro im Jahr vergolten wird, um die zehn Stunden Zeit im Monat, um die Rechtsangelegenheiten des Jugendlichen zu besorgen, sagt Sommer. Aber natürlich sei es besonders schön, wenn die Helfer zu einer engeren Bezugsperson werden. „Oft sind die Vormünder die einzigen Privatpersonen, die sich um die Minderjährigen kümmern“, sagt Sommer.