Nah dran: Martina Abeln-Schermuly therapiert Klienten der „Starken Bande“ – auch in deren Zuhause. Bild: Lando Hass
Eigentlich müssen Kranke in eine Praxis kommen. Doch bei der „Starken Bande“ in Frankfurt läuft es andersherum: Die Psychologen gehen zu ihren Patienten. Das ist intim – und herausfordernd.
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Einen starken Magen braucht Martina Abeln-Schermuly für ihre Arbeit. Aber nicht, weil sie als aufsuchende Psychotherapeutin immer wieder einmal in ziemlich unordentlichen Wohnungen steht – sondern weil eigentlich jede Therapiesitzung damit beginnt, dass ihr Klient Kaffee serviert. Abeln-Schermuly, 61 Jahre alt und seit neun Jahren bei der Stiftung „Starke Bande“ als Therapeutin, nimmt ihn eigentlich immer an: „Damit kommt mein Gegenüber in die Situation, auch etwas geben zu können.“
Eigentlich müssen Menschen, die eine Psychotherapie brauchen, den Weg in eine Praxis finden. Sie müssen mit der Krankenkasse verhandeln, Überweisungen besorgen, auf einen Therapieplatz warten und jedes Mal zum Therapeuten fahren, wenn eine Sitzung anberaumt ist. Bei der „Starken Bande“ ist das anders: Die Stiftung, die vor allem mit Menschen aus schwierigen familiären und wirtschaftlich prekären Verhältnissen mit starken Traumata arbeitet, schickt die Therapeuten zu den Klienten nach Hause. Damit ist das Angebot ungleich niedrigschwelliger.
Und da die Stiftung unabhängig von den Krankenkassen arbeitet, fällt auch diese Hürde weg. Das ist wichtig für die Betroffenen – vielen geht es so schlecht, dass sie es nicht fertigbrächten, auf eigene Faust einen Therapieplatz zu suchen. „Unsere Klienten sind hochbelastet und haben oft schon schlechte Erfahrungen mit Hilfsangeboten gemacht“, sagt Gabriela Burchert, eine Kollegin von Martina Abeln-Schermuly. Das heißt: Sie kennen das Jugendamt, sie leben oft in Angst, dass ihnen ihre Kinder weggenommen werden, sie wollen mit den offiziellen Stellen lieber nichts zu tun haben. Sie haben daher oft auch eine große Ablehnung gegen Therapien aufgebaut.
Mehr Starthilfe
Doch die „Starke Bande“ arbeitet mit den Institutionen zusammen – und schließt damit eine Lücke. Die Therapeuten der Stiftung kommen nicht, um zu kontrollieren. Sie sind nur da, um zu helfen, und zwar in einem ganz anderen Setting, als das normalerweise der Fall wäre. „Bemutternd“ nennt es Abeln-Schermuly: nicht nur, dass sie zu den Klienten nach Hause fährt, dort Partnerschaft, Alltag und den Umgang mit den Kindern direkt mitbekommt. Obwohl sie aus einer ganz nüchternen Psychotherapiekultur nach Freud kommt, der Psychoanalyse, legt sie einer Klientin der „Starken Bande“ auch schon einmal die Hand auf die Schulter, wenn diese bitterlich weint.
Oder sie ruft bei der Schule des Kindes an, wenn es ein Problem gibt. Bei einer herkömmlichen Therapie würde das niemand machen – dort geht es gerade darum, den Patienten ganz selbständig fit zu machen. Doch die Klienten der „Starken Bande“ brauchen mehr Starthilfe. „Der Start in ihr Leben war oft schon so mies, und die Familienstrukturen fehlen meist komplett.“
Die Therapeutin kennt beide Welten. Sie hat auch eine Praxis in Bonames. Dorthin kommen Menschen, die es sich nicht nur leisten können, für eine Therapie zu zahlen, sondern die auch ein ganz anderes Umfeld haben als jene, denen die „Starke Bande“ hilft. „Ein Drittel ist promoviert“, sagt Abeln-Schermuly. Die Klienten, die sie besucht, sind dagegen meist alleinerziehende Mütter, die so schwer traumatisiert sind, dass es schon ein großer Erfolg ist, wenn sie beginnen, Verabredungen einzuhalten oder eine Arbeit aufnehmen. Einmal sagte ihr eine Klientin nach der Therapie, sie habe nun verstanden, dass man Kinder nicht schlagen dürfe. Die Erkenntnis klingt banal, aber die Therapeutin sagt: „Das war ein ganz wichtiges Ziel.“