Novemberpogrome in Frankfurt : Stumme Zeugen der Börneplatz-Synagoge
- -Aktualisiert am
Authentisch: Das Archäologische Museum will die Reste nicht zusammensetzen, sondern so zeigen, wie sie sind. Bild: Uwe Dettmar
Vom jüdischen Leben in Frankfurt sollte nichts übrig bleiben. Die Börneplatz-Synagoge brannte bis auf die Außenmauern nieder. Die marmornen Trümmer eines Toraschreins berichten von der Barbarei der Novemberpogrome.
Restaurator Thomas Flügen kann in den Steinen lesen. Auf dem hellen Marmor erkennt er feine Rottöne. Das sei der Staub, der von den Sandsteinen der zusammengebrochenen Synagoge stamme. Er weist auf dunkle Flecken hin. Das seien die Punkte, an denen die in der Erde liegenden Fragmente mit Metall in Berührung gewesen seien. Wasser sei eingesickert, das Metall sei korrodiert und habe den Marmor gefärbt. Der Restaurator zeigt auf Furchen und abgeplatzte Stellen im Marmor. Das seien die Spuren der Werkzeuge, mit denen die prächtige Einfassung des Toraschreins kurz und klein geschlagen wurde.

Redakteur in der Rhein-Main-Zeitung.
Das neue Exponat im Archäologischen Museum mag im Vorübergehen wie ein wirrer Steinhaufen anmuten, aber es steht für einen wichtigen Teil der Frankfurter Stadtgeschichte. Er erzählt von der israelitischen Gemeinde, die am Börneplatz nahe der ehemaligen Judengasse eine Synagoge baute und den Toraschrein, in dem die heilige Schrift aufbewahrt wurde, mit einer aufwendig verzierten, sieben Meter hohen Steinfassung rahmte. Er erzählt aber auch von der Barbarei der Nazis, die das Gotteshaus am 10. November 1938 niederbrannten. Und davon, dass die meisten Frankfurter diese Taten hinnahmen und manche, etwa bei Plünderungen jüdischer Geschäfte, davon profitierten. Als die Synagogen brannten, stand die Feuerwehr daneben und passte auf, dass die Flammen nicht auf die Nachbarschaft übergriffen.
Die Börneplatz-Synagoge brannte bis auf die Außenmauern nieder. Auch diese wurden bald abgeräumt, die Stadt nutzte die Steine, um eine Mauer am Hauptfriedhof zu bauen. Mit den Fragmenten der Thoraschrein-Fassung wurden die Kellerräume der ehemaligen Synagoge verfüllt. Dass sie wieder zum Vorschein kamen, hängt mit der Bebauung des Börneplatzes Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre zusammen. Insofern erzählen die Steine auch vom „Börneplatz-Konflikt“, der damals unter bundesweiter Beachtung ausgetragen wurde. Als für das geplante Verwaltungsgebäude der Stadtwerke die Fundamente der Judengasse und der Synagoge zerstört werden sollten, entbrannte ein Streit um den Umgang mit jüdischen Zeugnissen.
Auf die Synagoge weist heute nur noch ein dunkles Feld hinter dem dann doch errichteten Gebäude hin. Immerhin sei in der damaligen Auseinandersetzung die Sensibilität für den Umgang mit authentischen Spuren der Geschichte gewachsen, sagt Wolfgang David, der Leiter des Archäologischen Museums. So seien auch die bei den Bauarbeiten entdeckten Marmorfragmente aufbewahrt worden. Nach drei Jahrzehnten im Magazin haben die Fachleute des Museums die Trümmer nun genau untersucht. Dabei stellten sie fest, dass die Einfassung erst nach dem Pogrom vom 10. November 1938 in kleine Stücke geschlagen wurde. Wie David sagt, hätten die Nazis die Marmorelemente auch demontieren und verkaufen können. Stattdessen hätten sie sie geradezu systematisch zerstört. Die Hieb- und Hackspuren zeigten, dass dies von Hand geschehen sei, also keineswegs zufällig beim Werfen in eine Grube.
Für Marc Grünbaum, Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde, weist die Zerstörungsarbeit auf die noch schlimmeren Verbrechen hin, die nach den Novemberpogromen folgten. Für gläubige Juden sei der Toraschrein mit den heiligen Schriftrollen das Zentrum des Gotteshauses, an ihm richteten sie ihre Gebete aus. Die Trümmer der Marmorfassung zeigten, mit welcher Brutalität und welchem Vernichtungswillen die Nazis vorgegangen seien.
Auch aus diesem Grund verzichtet das Archäologische Museum auf den Versuch, die Steine in ihrer ursprünglichen Form anzuordnen, zusammenzusetzen und fehlende Stücke zu rekonstruieren. „Wir wollen sie so präsentieren, wie sie sind“, sagt Museumsleiter David. „Wir können nichts rückgängig machen, wir können nichts heilen.“ In einigen Jahren werde es niemanden mehr geben, der die Pogrome vom November 1938 erlebt habe und davon berichten könne. Dann blieben nur die Steine als stumme Zeugen.