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Frankfurter Stadtansichten : Die Möglichkeit einer Straße

Fotorealistisch: Bernd Schwerings „Frankfurt-Reuterweg“ von 1990. Bild: Historisches Museum Frankfurt

Das Historische Museum Frankfurt verfügte bislang nur über wenige Stadtansichten der Nachkriegszeit. Jetzt kommt ein Werk des Malers Bernd Schwering hinzu. Es zeigt die Wirklichkeit und stellt sie in Frage.

          2 Min.

          An eindrucksvollen Stadtansichten mangelt es im Historischen Museum nicht. Man denke nur an das Treunersche Altstadtmodell, das den historischen Kern Frankfurts vor den verheerenden Luftangriffen des Zweiten Weltkriegs zeigt. Gefühlte Ewigkeiten verlieren sich manche Besucher in die dicht gedrängte Fachwerkwelt. Oder das eine Museumswand überspannende „Mainufer am Fahrtor“ von Wilhelm Friedrich Hirt: Unfassbar detailreich zeigt das Gemälde von 1757 die Szenerie am Fuße des Rententurms: Hafenarbeiter mit Fässern und Pferdefuhrwerken, Fähren und Segelschiffe auf dem Fluss, feilschende Händler, posierende Bürgerfrauen, rauflustige Gesellen – ein Wimmelbild, das die geschäftige, diverse und bisweilen ruppige Handelsmetropole in ih­ren bis heute erhaltenen Eigenarten porträtiert.

          Matthias Trautsch
          Koordination Reportage Rhein-Main.

          Ein gewisses Ungleichgewicht herrscht in der Dauerausstellung des Historischen Museums indes, weil nur wenige jüngere Darstellungen der Stadt zu sehen sind. Aber das soll sich nun ändern. Und we­sentlich dazu beitragen soll der „Frankfurt-Reuterweg“ des 1945 geborenen und vor drei Jahren verstorbenen Malers Bernd Schwering. Der Kulturausschuss der Stadtverordneten hat dem Erwerb am Donnerstagabend zugestimmt. Das Ge­mälde, das schon als Leihgabe in der Sonderausstellung „Die Stadt und das Grün“ zu sehen war, ist eine nach Fotografien mit Acrylfarbe gemalte hyperrealistische Darstellung des Reuterwegs von 1990.

          Natur in den Nischen der Steinwüsten

          Es zeigt den Blick in Richtung Bockenheimer Landstraße und Alte Oper – allerdings ohne dass das Konzerthaus selbst zu se­hen wäre. Die Aufmerksamkeit liegt auf dem motorisierten Individualverkehr und namentlich auf der goldenen Mercedes-Limousine im Bildzentrum. Den Hintergrund dominieren die Hochhäuser mit dem inzwischen abgerissenen Zürich-Haus und den gläsernen Türmen der Deutschen Bank, an den Rand gedrängt sind Bäume und wuchtige Gründerzeitbauten.

          Schwering war Landschaftsmaler mit einem besonderen Blick für die Reste der Natur, die sich in den Nischen der vom Menschen geschaffenen Steinwüsten be­haupten – so wie das „Straßenbegleitgrün“ am Reuterweg. „Es geht um die Macht von Kapital und Konsum, die den öffentlichen Raum in starkem Maße durch ihre Architektur und die Phantasie von einer autogerechten Stadt prägt“, sagt Museumsdirektor Jan Gerchow. Mit heutigem Blick gesehen, drängen sich allerdings auch andere Assoziationen auf: Ge­radezu friedlich-naiv wirkt die Großstadtszene mit dem blauen Himmel, den Bäumen mit dem kräftigen grünen Laub und dem sich durch die Mitte ergießenden Strom des Verkehrs. Ein Sinnbild der von Klimakrise, Corona und Ukrainekrieg un­getrübten Prosperität der alten Bundes­republik.

          Distanziertes Miteinander: Thomas Roths „U-Bahnstation“ von 1977.
          Distanziertes Miteinander: Thomas Roths „U-Bahnstation“ von 1977. : Bild: Historisches Museum Frankfurt

          Es ist wohl ein Ausweis der Qualität des Bildes, dass es solche gegensätzlichen Lesarten erlaubt – auch und gerade als realistisches Werk. Schwerings Gemälde seien „verdichtete Möglichkeitsformen“, sagt Gerchow. Der Maler habe sich in seinem Kunstbegriff auf das Wort  des kanadischen Malers Alex Colville bezogen: „Als guter Realist muss ich alles erfinden“. Die pointilistische, sich keiner technischer Hilfsmittel bedienende Technik Schwerings sei zeitaufwendig, was dazu geführt habe, dass die meisten seiner Werke kleinformatig ausfielen. Der „Reuterweg“ stelle durch seine Größe eine Ausnahme dar und gehöre zu einer kleinen Gruppe von Ansichten mit Straßen­situationen und Hochhausbaustellen.

          Großstadtleben en détail

          Möglich war der Erwerb dank des Budgets, das die städtischen Museen zur Er­weiterung ihrer Sammlung haben. Der An­schaffungsetat war 2019 auf Initiative von Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) wieder eingeführt worden. Zu sehen sein wird die Neuanschaffung in der Galerie „Stadtbilder“ der Dauerausstellung „Frankfurt Einst?“ zusammen mit der 2010 erworbenen „U-Bahnstation“ von Thomas Roth. Auch dieses Gemälde von 1977 setzt sich mit dem Leben in der Großstadt auseinander, allerdings in einer eindeutigeren Form als der „Reuterweg“.

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