Institut für Rechtsgeschichte : Der Eurozentrismus findet ein Ende
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Außenansicht des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte bei der Neueröffnung (Archivbild) Bild: Fabian Fiechter
Erweiterter Forschungshorizont: Seit dem 10. Januar streicht das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte „europäisch“ aus seinem Namen. Der Verdacht des Eurozentrismus soll zu den Akten gelegt werden.
In China reagiert man empfindlich auf Eurozentrismus, sei er nun real oder empfunden. Das hat auch Thomas Duve schon zu spüren bekommen. Von ihm, dem Direktor am Frankfurter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, wollten chinesische Kollegen wissen: „Wann streicht ihr endlich das ,europäische‘ aus eurem Namen?“ Der Wunsch wird nun erfüllt. Vom 10. Januar an firmiert die Forschungsstätte mit Sitz auf dem Westend-Campus der Uni Frankfurt als Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie.

Blattmacher in der Rhein-Main-Zeitung.
Allerdings war es nicht Willfährigkeit gegenüber der neuen Supermacht, die zu der Umbenennung führte – vielmehr ergab sie sich aus den Arbeitsschwerpunkten der Frankfurter Wissenschaftler fast von selbst. Bei der Gründung des Instituts 1964 war eine über das nationale Recht hinausreichende Perspektive noch neu, wie Duve erläutert. Dieser Blickwinkel habe auch gut zur europäischen Aufbruchsstimmung in den fünfziger und sechziger Jahren gepasst. Doch angesichts der Globalisierung sei es jetzt nötig, stärker auf außereuropäische Gesetzeskulturen zu schauen, meint der Professor, der sich selbst mit den Rechtstraditionen der „iberischen Imperien“ in Lateinamerika, Afrika und Asien beschäftigt. Damit werde das Institut auch für Gastforscher aus diesen Ländern attraktiver.
Seit 2015 forscht zudem Stefan Vogenauer bei den Frankfurtern. Er ist Spezialist für das „Common Law“ im britischen Empire, womit sein Horizont ebenfalls weit über Europa hinausreicht. „Ich kümmere mich um katholische Missionare, er um evangelische Kaufleute“, sagt Duve scherzhaft über seinen Direktorenkollegen.
Dass das Institut künftig auch noch die Rechtstheorie im Namen führt, ist Marietta Auer zu verdanken. Sie kam Anfang September ans Institut und baut dort nun als Direktorin eine dritte Abteilung auf. Auer untersucht, wie das moderne Recht entstand und ob es den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen ist. Diese Frage stellt sich angesichts von Digitalisierung und fortschreitender Umweltzerstörung umso dringlicher.
Der Wohlstand der westlichen Welt beruhe auch auf dem von ihren Juristen entwickelten Eigentumsrecht, das den Privatbesitz in den Vordergrund stelle, erklärt die Professorin. Inzwischen setze sich aber mehr und mehr die Überzeugung durch, dass es Gemeingüter gebe, die sich auf der Basis des Privatrechts nicht angemessen bewirtschaften ließen – etwa die Artenvielfalt in der Natur.
Die Direktorin hat sich zum Ziel gesetzt, „kleinteilige Lösungen“ für solche Probleme auszuarbeiten. Politikberatung ist nicht das Kerngeschäft eines Max-Planck-Instituts, eine „gesellschaftliche Verantwortung“ attestiert Auer sich und ihren Mitforschern allerdings schon. Dazu gehört für sie, über neue rechtliche Konstrukte wie das des „Verantwortungseigentums“ nachzudenken, aber auch manchen politischen Lösungsansatz zu kritisieren: Vom Berliner „Mietendeckel“ zum Beispiel hält die Privatrechts-Expertin nichts.
Eine Rückbesinnung auf die Tradition
Bezüge zu Konflikten der Gegenwart gibt es auch in den Projekten von Duves Abteilung. Sein Kollege Manuel Bastias Saavedra etwa befasst sich mit der Frage, wie einst im iberischen Herrschaftsgebiet Land verteilt wurde: Die Folgen dieser Praxis beschäftigen lateinamerikanische Gesellschaften bis heute. Für Duves Arbeit über die Rechtswissenschaft in der Berliner Republik wiederum interessiert man sich im fernen Osten: Gerade wurde sein Buch zu diesem Thema ins Chinesische übersetzt.
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JETZT F+ KOSTENLOS SICHERNDuve hat den Eindruck, dass das Wissen der Chinesen über europäische Jurisprudenz größer ist als jenes der Europäer über asiatische Rechtskultur. Dem stehe der zunehmend autoritär-nationalistische Kurs der Pekinger Führung nicht unbedingt entgegen. Mit ihm einher gehe eine Rückbesinnung auf die Tradition, und zu der gehöre es, aus anderen Kulturen das zu übernehmen, was dem eigenen Land nütze. Wenn sich die Neugierde der Chinesen nicht nur auf die europäische Vertragskunst beschränkt, sondern sich vielleicht auch auf das Wesen des Rechtsstaats an sich ausdehnt, könnte das die Frankfurter Forscher nur freuen.