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Kinderheim in Frankfurt : Ein Haus für Abstand und Nähe

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Blick nach oben: Heiko auf dem Sportplatz hinter dem Jugendheim Bild: Wolfgang Eilmes

Bei ernsten Familien-Problemen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Kinder bleiben bei den Eltern, oder die Familien werden getrennt. Die Caritas versucht einen Mittelweg.

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          Es ist kein ganz normales Jungs-Zimmer, und doch hängt an der Wand das Gleiche wie in vielen anderen Jungs-Zimmern in Frankfurt: ein Poster von Eintracht-Stürmer Alex Meier. Heiko mag Meier. Der Vierzehnjährige spielt auch selbst gerne Fußball. Gut, dass hinter dem Haus zwei Tore und ein großes Feld zu finden sind. Und ebenso gut, dass Heiko mit vielen anderen Jungs zusammen wohnt, die auch gerne Fußball spielen - jedenfalls unter der Woche.

          An fünf Tagen in der Woche lebt Heiko im Haus Thomas. In drei Gruppen wohnen dort Jungen und ein paar Mädchen zusammen. Am Wochenende und in den Ferien kehren zu ihren Eltern zurück. Das Konzept ist ein Mittelding zwischen einem Kinderheim und einer rein ambulanten Begleitung von Familien, in denen es ernste Probleme gibt. Seit 25 Jahren betreibt die Caritas das Haus an der Großen Nelkenstraße in Hausen nach diesen Regeln.

          Heiko hat Schwierigkeiten mit der Konzentration und dem Erkennen von Grenzen. Das hat sich früher vor allem in der Schule gezeigt, wenn er dem Unterricht nicht folgen wollte. „Das ist scheiße gelaufen“, sagt er heute mit großer Offenheit. Manchmal habe er mit Stiften auf seine Mitschüler eingeschlagen, „weil sie besser waren“ und ihn das genervt hat.

          Mehr Jugendliche mit seelischen Krankheiten

          In dieser Hinsicht ist Heiko ein klassischer Fall für das Haus Thomas. Denn die Probleme zeigten sich oft zuerst in der Schule, sagt die Leiterin der Einrichtung, Martina Wodnar. Zwar sagten viele Eltern, dass es zu Hause keine größeren Schwierigkeiten gebe, aber meistens stimme das nicht.

          Heikos Mutter weiß, was das heißt. Ihr Sohn kannte lange seine Grenzen nicht. Wenn es ihm zu viel wurde, schmiss er alle Sachen vom Tisch, wenn seine Mutter ihm im Supermarkt einen Wunsch abschlug, drehte er durch. Von ihrem mittlerweile geschiedenen Mann bekam sie wenig Unterstützung. Erst spät regte die Schule an, Heiko auf ADHS testen zu lassen. Es folgten eine Diagnose der Hyperaktivität und eine Zeit in der Jugendpsychiatrie, um den Jungen auf die Medikamente einzustellen. „Ich wünschte, wir hätten früher diese Hilfe bekommen“, sagt Alexandra Boländer.

          Wenn sie ihren Sohn sonntags ins Haus Thomas bringt, ist sie immer etwas wehmütig. Aber sie empfindet es als große Hilfe. Sie selbst hat von den Pädagogen gelernt, öfter und deutlicher „nein“ zu sagen. Die Strukturen in den Wohngruppen helfen nicht nur Heiko, sondern auch ihr.

          Die Leiterin des Hauses Thomas hat schon viele ähnliche Fälle erlebt. Oft sind Alleinerziehende betroffen. Viele der Eltern haben in ihrer Jugend Gewalt erlebt. Manche geben das an die Kinder weiter, andere ziehen daraus den Schluss, überhaupt keine Strenge an den Tag zu legen. Wodnar beunruhigt die steigende Zahl von Jugendlichen mit seelischen Krankheiten, sie erlebt zum Beispiel immer mehr Mädchen und Jungen mit Depressionen. Diese Kinder zögen sich komplett zurück, sagt Wodnar. „Unsere Aufgabe ist es dann, sie zu aktivieren.“

          „Die Eltern bleiben in der Verantwortung.“

          Zwar ist das Haus Thomas schon etwas in die Jahre gekommen, aber für Kinder bietet es alles, was sie zum Austoben brauchen: Außer den Sportplätzen gibt es auch Räume für Musik, für Kunst und für Fitnesstraining. Die Beziehung zwischen den Pädagogen und den Jugendlichen ist eng. Wodnar ist es aber wichtig, dass sie und ihre Kollegen nicht zu einer Ersatzfamilie werden. „Die Eltern bleiben in der Verantwortung.“ Das Konzept kommt deshalb nur für Familien in Frage, für die die Hoffnung auf Besserung groß ist. „Ich muss die Kinder ja mit einem guten Gewissen nach Hause schicken können“, sagt Wodnar.

          Für Heiko gilt das offensichtlich. Wenn seine Mutter ihn freitags am Nachmittag abholt, nimmt sie vorher noch im Eltern-Café Platz. Dort trifft sie andere Mütter und Väter, einige kennt sie schon von gemeinsamen Seminaren. Die Sozialpädagogen wollen dann gerne wissen, was sie für das Wochenende geplant haben. Das müssen nicht unbedingt große Unternehmungen sein, aber Samstag und Sonntag sollen sich die Eltern mit ihren Kindern beschäftigen. „Wertvolle Zeit“ nennt das Wodnar. Aus ihrer Sicht können das auch Konflikte sein, wenn sie denn richtig ausgetragen und im besten Fall aus der Welt geschafft werden.

          In der Regel bleiben die Mädchen und Jungen anderthalb bis zwei Jahre im Haus Thomas. Heiko ist nun schon etwas länger da, weil seine Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Der Vierzehnjährige geht inzwischen in die achte Klasse einer Förderschule. Bald beginnt er ein sechs Wochen langes Praktikum in einer Zoohandlung. Vielleicht bekommt er auf diesem Weg die Chance auf eine Ausbildung nach dem Schulabschluss. „Es geht steil bergauf“, sagt Heikos Mutter. Wodnar bestätigt das. Als Heiko ins Haus Thomas gekommen sei, habe er weder richtig schreiben noch lesen können. „Das haben wir gemeinsam hinbekommen.“

          Die Leistungen in der Schule sind ein entscheidender Punkt in dem Heim. Eine Mitarbeiterin kümmert sich um nichts anderes. Sie hält den Kontakt zu den Lehrern, sucht einen Platz in der passenden Schule und organisiert Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe. Die Frühschicht im Haus Thomas hat die Aufgabe, die Kinder pünktlich auf den Weg zur Schule zu schicken - mit ordentlichem Aussehen und einem Pausenbrot.

          Es dauert nicht mehr lange, dann wird Heiko aus seinem Doppelzimmer im Haus Thomas ausziehen und selbständiger werden müssen. Seine Mutter traut ihm und sich selbst zu, dass sie es zusammen schaffen können. Vielleicht stellt sich aber auch heraus, dass eine betreute Wohngemeinschaft der bessere Ort für ihn ist. So oder so möchte Alexandra Boländer für ihn da bleiben. Sie sagt: „Ich will ihn nicht abschieben.“

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