Buchmesse-Chef Juergen Boos. Bild: dpa
Es sind turbulente Zeiten für die weltgrößte Medienschau. Buchmessen-Leiter Juergen Boos sieht in der Digitalisierung eine große Chance – und will es einem breiten Fachpublikum recht machen.
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Die Frankfurter Buchmesse, die 2019 mit mehr als 300.000 Besuchern ein Rekordergebnis erzielte, wird im Oktober dieses Jahres als im Kern digitales Ereignis stattfinden. „Diese Erfahrung bringt die Buchmesse nur nach vorn“, sagt deren Leiter Juergen Boos im Gespräch mit dieser Zeitung. Und er bestreitet vehement, dass sich dadurch die prinzipielle Ausrichtung wandelt. „Wir wollten schon vor Corona publikumsorientierter werden und für das Fachpublikum noch mehr bieten.“ Beides werde vorangetrieben. Und was ist mit all den Ideen von Erweiterung, Ergänzung, Kooperation? Boos hat eine eindeutige Botschaft: „Die Buchmesse ist die Buchmesse ist die Buchmesse.“
Wenn sie sich mit anderen Medien beschäftigt habe, dann vor allem deshalb, weil sich die Verlage und alle, die mit Geschichtenerzählen zu tun haben, auch für die neuen Formate interessiert hätten. „Am auffälligsten war das bei dem Audio-Buch, das einen langen Weg gegangen ist von der CD über den Download bis zum Stream.“ Das Hörbuch erlebe derzeit einen ungeahnten Boom. Aber: „Die Games-Branche oder die bildende Kunst miteinzubeziehen war nie im Gespräch.“ Für die Buchmesse werde es immer interessant, wenn es ums Geschichtenerzählen und ums Urheberrecht gehe. Wenn man etwa Bildrechte einkaufe für ein Buch, dann sei dies relevant. Für die Branche und die Buchmesse.
Diese sorgt seit einiger Zeit für erstaunliche Nachrichten. Ende Mai gaben die Verantwortlichen bekannt, sie werde trotz der Pandemie stattfinden. In einer reduzierten Form, mit einer Ausweitung des digitalen Angebots. Darüber freuten sich viele, wussten sie doch, dass es zwar nicht wie immer sein würde, aber doch ein bisschen so wie vor Corona, mit Abstand, aber von Angesicht zu Angesicht, ein Zeichen auch, dass man sich von einem Virus nicht unterkriegen lässt. Mittlerweile hatten sich schon mehr als 700 Aussteller angemeldet, als der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Veranstalter und dessen Tochtergesellschaft, die Buchmesse GmbH, vor gut einer Woche die Notbremse zogen. Wegen der anhaltenden und zum Teil sogar wieder verschärften Reisebeschränkungen wurde abgesagt, was bisher das Herzstück der Bücher- und Medienschau war, das Treiben in den Hallen auf dem Messegelände.
Der Börsenverein hält sich bedeckt
Für Verwirrung hatten Ende Juni Gerüchte gesorgt, die Buchmesse wolle mit der Frankfurter Musikmesse gemeinsame Sache machen. Und nicht nur das: Es soll ziemlich weit gediehene Pläne für eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Games-Branche und eine Ausweitung der Messe-Aktivitäten auf dem Feld der bildenden Kunst gegeben haben. Eine Pressekonferenz mit Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) war schon angesetzt, wo offenbar alle möglichen Kooperationen für das Jahr 2021 verkündet werden sollten. Aber die Stadt, die Buchmesse und die Messegesellschaft machten einen Rückzieher. Nun will Boos von derlei Ideen nichts mehr wissen.
Von heftigen internen Auseinandersetzungen im Börsenverein wurde gemunkelt. Dass bei einem Verband mit mehr als 4000 Mitgliedern, die recht unterschiedliche Interessen und Zielrichtungen verfolgen, jeder Vorstoß, etwas zu verändern, für Kontroversen sorgt, liegt auf der Hand. Von konservativen Buchhändlern, die den Primat des gedruckten Wortes unbedingt verteidigen wollen und denen die Buchmesse nach wie vor ein Hochamt des Literarischen ist, bis zu den Befürwortern eines multimedialen Festivals, bei dem jede Form von „content“ zu ihrem Recht kommen soll, reichen die Ansichten.
Aber der Börsenverein hält sich bedeckt, wenn an ihn die Frage nach der Zukunft der Buchmesse gerichtet wird. „So wie die gesamte Gesellschaft nach Corona nicht mehr genauso sein wird wie zuvor, wird sich auch die Buchmesse verändern. Digitale Plattformen werden neben den physischen Angeboten eine größere Rolle spielen“, heißt es in einem Statement von Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs. Und weiter: „Ich bin überzeugt, dass die Messe so ihre Bedeutung als größter internationaler Branchentreffpunkt und reichweitenstärkste Plattform für Bücher erhalten wird. Als Ort der kulturellen und gesellschaftlichen Debatte ist sie in diesen Zeiten gefragter denn je.“
Eine kulturelle Veranstaltung – und eine politische
Aber wie wird das konkret aussehen? „Vorausgesetzt, dass sich die Pandemie zurückzieht und wir das unter den Hygienebestimmungen machen können, wird es 2021 in jedem Fall eine physische Messe geben“, kündigt der Buchmessen-Leiter an. „In den letzten zwei Wochen, nachdem wir für dieses Jahr die physische Messe absagen mussten, habe ich permanent mit Kollegen auf der ganzen Welt gesprochen, die sagen, wie sehr sie die Messe in den Hallen vermissen.“ Nach Monaten mit Teams und Zoom sei das Bedürfnis groß, sich wieder zu sehen. Schließlich habe keine der Veranstaltungen stattgefunden, wo sich normalerweise die internationale Buch- und Medienbranche treffe, Bologna, London, alles abgesagt. Die Buchmesse in Peking verflüchtigte sich im Cyberspace.
„In erster Linie war und ist die Buchmesse eine kulturelle Veranstaltung“, sagt Boos. Es gehe aber auch um das Geschäft, das in Frankfurt im Rechtehandel stattfindet. „Und sie ist auch eine politische Veranstaltung.“ In diesem Oktober wird sie aber vor allem eine digitale. „Wir mussten für unsere B-to-B-Kunden eine Schiene aufbauen, wir mussten ein Fachprogramm auf die Beine stellen, wir mussten ein literarisch interessantes Programm entwickeln, aber auch eines, das die Bedürfnisse eines Kochbuchverlags abdeckt.“ Es werde kürzere Formate geben. Und ein so vielfältiges Programm, dass jeder sein Thema finden werde. Außerdem sei die Messe nicht nur virtuell. Es gebe etwa 70 Veranstaltungen in der Stadt. „Und die Festhalle, die wir sechs Tage lang bespielen.“