Im Gespräch: Alfred Schmidt : „Genötigt, scharf zu denken“
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Freude am Reden: Alfred Schmidt. Bild: Wolfgang Eilmes
Der Frankfurter Philosoph Alfred Schmidt ist 80, kann sich ein Leben ohne Arbeit aber noch immer nicht vorstellen. Ein Gespräch jenseits der strengen Fragen an die reine Wissenschaft. „Bei einigen stieß man doch auf Kulturwidriges. Nicht alles, was an den Pfosten rüttelt, ist auch schon fortschrittlich.“
Herr Professor Schmidt, was raten Sie einem jungen Menschen, der sich mit dem Gedanken trägt, Philosophie zu studieren?
Er sollte wissen, dass Philosophie ein Lebensrisiko ist. Deshalb würde ich den jungen Menschen fragen, ob er ein materielles Polster hat. Denn von Philosophie kann man ja in der Regel nur an Hochschulen oder in gehobenen Zeitungsredaktionen leben.
Ist Philosophie nicht auch in geistiger Hinsicht das, was Sie ein Lebensrisiko nennen?
Ja, man muss Ungewissheit aushalten. Man muss hinnehmen, dass die Summe der Einzelwahrheiten nicht die ganze Wahrheit schlechthin bedeutet. Max Horkheimer erzählte gern von einem Erlebnis an der Freiburger Universität. Von acht bis neun sprach Professor Edmund Husserl über die Philosophie als absolute und strenge Wissenschaft. In der nachfolgenden Stunde erschien Privatdozent Martin Heidegger und sagte: "Meine Damen und Herren, wenn Sie Philosophie studieren, müssen Sie sich eines klarmachen: Mit Wissenschaft hat das gar nichts zu tun."
Sie selbst haben über die Geschichte und die Philologie zur Philosophie gefunden?
Der Druck auf die Studenten war damals noch nicht so stark, man schnüffelte mehr als heute auch auf anderen Wissensgebieten herum. Man bekam auch Tipps von Kommilitonen, welcher Professor besonders interessante Vorlesungen hielt. Ich habe mich anfangs, wie viele Studenten, völlig übernommen und habe zwanzig, dreißig Stunden belegt, das hält man gar nicht durch. Vor allem aber hat man sich damals aufgefordert gefühlt, die Texte selber zu lesen, von denen in den Vorlesungen die Rede war. Ich schrieb auf Papierfetzen alles mit und übertrug das daheim in einer vielleicht etwas glatteren, geglückteren Sprache in Schulhefte, handschriftlich.
Sie waren bildungshungrig?
Ja, das kann man sagen.
Und kamen an der Frankfurter Universität schnell auf Adorno und Ihren späteren Lehrer Horkheimer. Wie unterschieden sich die beiden?
Ja, ich bin über die Geschichte und Geschichtsphilosophie mit einer gewissen Notwendigkeit auf Horkheimer und Adorno gestoßen. In Adornos Diktion musste man sich erst einmal hineinhören. Das gelang mir aber schneller als erwartet. Horkheimer war ein vom Kaufmännisch-Nüchternen herkommender Denker. Und das war bei seiner Herkunft auch ganz verständlich: Adornos Mutter war Sängerin, und Horkheimers Vater war Kommerzienrat. Mir wurde jedenfalls schnell klar: Bei den beiden findest du eine andere geistige Atmosphäre als bei jenen Professoren, die nach 68 "die bürgerlichen" genannt wurden.
Wie denken Sie heute über die Achtundsechziger?
Na ja, das war eine gemischte Sache. Einige der Ideen waren wirklich an der Zeit. Aber bei manchen Akteuren stieß man doch bald auf den Bodensatz des Kulturwidrigen - nicht alles, was an den Pfosten rüttelt, ist auch schon fortschrittlich. Als einige ganz widrige Leute zu Adorno sagten: "Wir müssen die Wissenschaft abschaffen", war auch bei ihm der Spaß zu Ende.
Adorno war streng?