Platensiedlung nach Razzia : „Ich schäme mich, hier zu wohnen“
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Etwas in Verruf geraten: Platensiedlung Bild: Wolfgang Eilmes
Seitdem die Polizei Wohnungen von Dealern durchsucht hat, ist es in der Frankfurter Platensiedlung seltsam ruhig. Die Anwohner sind gleichzeitig wütend und eingeschüchtert.
Rachid Rawas hat sich wieder auf den Weg gemacht. Er kam spät von der Arbeit, aß nur schnell eine Banane, dann stieg er auf sein Rad und fuhr los Richtung Platensiedlung. Rawas, Sozialpädagoge, SPD-Mitglied und stellvertretender Ortsvorsteher, macht das mehrmals die Woche, seit vielen Jahren. 1995 ist er in die Gegend gezogen, in eines der Häuser, die die amerikanische Armee in Ginnheim in den fünfziger Jahren für ihre Mitarbeiter gebaut hat. Rawas kennt diese Straßen gut, auch die, die in den vergangenen Jahren immer mehr in Verruf geraten sind, weil Drogendealer zunehmend die Kontrolle über das Leben im öffentlichen Raum übernommen haben.
So oft war die Polizei da, so oft hat es Ärger gegeben, nicht nur wegen der Drogen, sondern auch wegen Aggressionen und Gewalt, wegen brennender Mülleimer und Angriffen auf Feuerwehrleute. Trotzdem ist alles immer schlimmer geworden. Deshalb macht sich Rawas nachts auf. Er radelt durch die Straßen und spricht mit den meist jugendlichen Männern, die dort unterwegs sind. Unterhält sich mit ihnen, um zu zeigen, dass jemand da ist, der mit ihnen spricht. Jemand, der Präsenz zeigt. Oft ist er bis 2 Uhr unterwegs.
„Die Hauptstraße der Dealer“
Am Freitag war es 23 Uhr, als er in die Franz-Werfel-Straße einbog. „Die Hauptstraße der Dealer“ nennt er sie. Hier werden die meisten Geschäfte abgewickelt. Es gab Zeiten, sagt Rawas, da saßen die Dealer hier mit Plastikstühlen an der Straße und warteten auf Kundschaft. „Als wollten sie sagen: Diese Straße gehört uns, hier haben wir das Sagen.“ Unten, auf den Wiesen zwischen den Wohnblöcken, grillten sie mit ihren Freundinnen, ganz harmlos, während oben in den Wohnungen oder an Straßenecken Kollegen die Geschäfte abwickelten. „Eine Gesellschaft für sich.“ Fragt man die Menschen aus der Siedlung, hört man immer wieder, dass man die Dealer ganz offen von den Balkonen aus sehen kann. Dass jeder genau weiß, was geschieht, aber keiner etwas dagegen tun kann oder sich keiner traut.
„Mein Bruder sagt immer, wir sollen einfach nicht hinschauen“, sagt eine Frau. Auch Rawas kennt diese Geschichten. Die Nachbarschaftshilfe, bei der er sich engagiert, hat ihre Räume in einem der Häuser an der Franz-Werfel-Straße. Er kann genau sagen, woher die Familien kommen, die in den Wohnungen leben, und er hat erlebt, wie manche von ihnen riesige Angst hatten, der Polizei zu erzählen, was sie gesehen haben. Angst vor Vergeltung. Aber ohne Hinweise, sagt Rawas, hat die Polizei es schwer. „Die Dealer kennen hier jeden. Wenn hier ein Fremder auftaucht, merken die das. Einen Polizisten in Zivil erkennen die sofort.“
Marihuana, Kokain, Schreckschusswaffen
Aber seit ein paar Tagen ist plötzlich etwas anders. Am Dienstag vorvergangener Woche rückte die Polizei in großer Stärke und mit einem Durchsuchungsbeschluss an. Sieben Wohnungen durchsuchten die Beamten, dort fanden sie Marihuana, Kokain, Schreckschusswaffen, gestohlene Fahrräder und große Mengen Bargeld. Sieben Personen nahmen sie später fest. Und die müssen jetzt mit ihren Familien aus ihren Wohnungen ausziehen. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG hat ihnen fristlos gekündigt.