175 Jahre Nationalversammlung : „Migranten und Initiativen gegen Rassismus einbeziehen“
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Herausforderung für die Demokratie: Demonstration von sogenannten Querdenkern in Frankfurt Bild: Lucas Bäuml
Im nächsten Jahr feiert Frankfurt den 175. Jahrestag der Nationalversammlung in der Paulskirche. Die Grünen-Politikerin und Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg fordert in einem Gastbeitrag, auch an die Zuwanderer zu denken.
Mittlerweile wird jeden Montag und jeden Samstag auf den Straßen Frankfurts von den sogenannten Querdenkern das Vertrauen in die Demokratie untergraben. Diese schwierig einzuordnenden Proteste kündigen der Gesellschaft die Solidarität auf. Menschen, die irrtümlicherweise glauben, selbst nicht betroffen zu sein, riskieren willkürlich das Leben anderer. Legitimiert wird dieser Egoismus oftmals mit der verschwörungsideologisch grundierten Vorstellung, man werde permanent angelogen und betrogen – von der Wissenschaft, vom Staat, von den demokratischen Institutionen. Mit der Verabschiedung von einer geteilten Realität, in der wir gemeinsam leben, wird auch der demokratischen Auseinandersetzung ihre Grundlage geraubt.
Diese Angriffe auf die Demokratie, wie sie nicht nur in Frankfurt, sondern international zu beobachten sind, halten sich nicht an demokratische Spielregeln. Es stellt sich die Frage, was dem entgegenzusetzen ist, welche demokratischen Traditionen aufgerufen werden müssen und wie sie sich in die Gegenwart übersetzen lassen können. Im nächsten Jahr wird das 175. Jubiläum eines der zentralen Ereignisse deutscher Demokratiegeschichte gefeiert: Die Nationalversammlung trat im Zuge der Märzrevolution 1848 in der Paulskirche zusammen. Wie kann dieses Symbol heute etwas zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen? Wie kann die Paulskirche mehr sein als ein Relikt aus Stein?
Der Blick auf die Paulskirche
Seit ich im August letzten Jahres in mein Büro als Bürgermeisterin und Dezernentin für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt im dritten Stock des Römers gezogen bin, schaue ich täglich auf die Paulskirche. Ich kann gar nicht anders. Immer wenn ich in Gedanken bin, zieht das Gebäude meinen Blick an. Im Frankfurter Stadtbild wirkt die Paulskirche beinahe subtil. Sie verschwindet vor den Wolkenkratzern, und sie findet bislang weniger Beachtung, als es einem solch bedeutsamen Ort zusteht. Das soll sich nun ändern. Vom Magistrat wurde unter der Leitung von Oberbürgermeister Peter Feldmann erwogen, die Paulskirche nicht nur durch ein langfristiges Rahmenprogramm zu würdigen, sondern sie zu einem Erinnerungs- und Lernort zu machen. Ihr soll ein Haus der Demokratie beigestellt werden, das politisch-historische Bildung mit zeitgemäßen Partizipationsformaten verbindet.
Eine Musealisierung von 1848 kommt angesichts der ambivalenten Geschichte der Paulskirche kaum infrage. Die Stellung der Paulskirche sowohl in der Stadtgesellschaft als auch für die Bundesrepublik muss erst noch bestimmt werden. Es lässt sich keine geradlinige Geschichte von der demokratischen Revolution bis zur Gegenwart schreiben. Denn die Geschichte der Demokratie in Deutschland ist auch eine Geschichte ihres Scheiterns. Die Errungenschaften der Nationalversammlung – wie die Verfassung oder der Grundrechtekatalog – sind von ihrer Aushöhlung und Abschaffung überschattet.
Diese Entwicklung kam nicht allein von außen. Auch in sich selbst war die Nationalversammlung widersprüchlich. Wie Eckart Conze jüngst in seinem Buch „Schatten des Kaiserreiches“ herausarbeitete, gab es unter den Parlamentsmitgliedern nicht nur Demokraten, sondern teilweise auch Antisemitismus und Militarismus. Insbesondere in der sogenannten Polendebatte brach ein aggressiver Nationalchauvinismus hervor. Im Übrigen waren weite Bevölkerungsteile unterrepräsentiert oder gar nicht vertreten. Diese reaktionären Momente schadeten den demokratischen Idealen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Paulskirche als erstes historisches Gebäude in Frankfurt wiederaufgebaut. Die Deutschen hatten die Demokratie letztlich nicht selbst gewählt, sondern mussten sie nach ihrer Niederlage und angesichts der von ihnen verübten Verbrechen akzeptieren. Es gab wenig demokratische Traditionen, an die zur Reeducation angeknüpft werden konnte. Die Nationalversammlung in der Paulskirche war eine davon.