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Großstadt-Depression : Von der Selbsttötung abbringen

Gefährliche Verdichtung: Die Großstadt kann die Psyche belasten. Bild: Marc-Steffen Unger

Auf der Tagung der Gesellschaft für Suizidprävention ging es vor allem um die Untersuchung des Einflusses von Großstadt und Arbeitsleben auf die Psyche. Die Ergebnisse geben zu denken.

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          Reden kann helfen. Wenn jemand im Bekanntenkreis Suizidgedanken äußert, sollte man nicht einfach darüber hinweggehen. „Es ist falsch, gar nichts zu tun“, sagt Andreas Reif, Direktor der Psychiatrie an der Universitätsklinik. Stattdessen müssten dem Betroffenen Hilfen angeboten, Ansprechpartner, eine Hotline oder Ärzte vermittelt werden. Auch wenn man einen verwirrten Menschen an einem gefährlichen Ort beobachte, sollte man ihn ansprechen, rät Barbara Schneider, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. „Das reicht häufig schon, um ihn von seinen Suizidgedanken abzubringen.“

          Ingrid Karb
          Blattmacherin in der Rhein-Main-Zeitung.

          Wie Selbsttötungen verhindert werden können, beschäftigt die Teilnehmer eines Kongresses an der Universitätsklinik Frankfurt. Die Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention hat dabei den Zusammenhang von „Großstadt, Arbeitsleben und suizidalem Verhalten“ im Blick. Es lasse sich nicht eindeutig belegen, ob das Risiko für Suizidalität in der Stadt größer ist als auf dem Land, sagen Experten.

          Auf dem Land litten vor allem ältere Menschen an Vereinsamung. Dafür nehme die psychische Gesundheit in „städtischen Verdichtungsräumen“ ab. Gleiches gilt für das Arbeitsleben: Zu viel Stress könne Menschen krank machen. Aber die feste Tagesstruktur und zwischenmenschliche Kontakte wirkten sich positiv auf die Psyche aus.

          Macht das Leben in der Stadt depressiv?

          Das Leben in der Großstadt verändert die Funktionsweise und Strukturen des Gehirns sichtbar, haben Forscher um Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, festgestellt. Dadurch sei zum Beispiel die Gefahr, an einer Depression zu erkranken, in der Stadt um 40 Prozent höher als auf dem Land. Auch Mazda Adli, Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Charité, geht der Frage nach, wie das Gehirn auf die permanenten Reize in der Stadt reagiert und ob sozialer Stadtstress krank machen kann.

          In der Metropole Frankfurt liegt die Suizidrate mit 12 bis 13 Fällen im Jahr je 100 000 Einwohner etwas höher als anderswo, berichtet Reif. Allerdings kommt nur ein Drittel der 90 Menschen, die sich im Jahr hier das Leben nehmen, auch aus der Stadt. Die Zahl der Suizide auf 60 im Jahr zu senken ist Ziel des Präventionsprojekts Frappe, an dem unter Federführung der Universitätsmedizin Rechtsmediziner, Allgemeinmediziner, alle psychiatrischen Kliniken der Stadt und das Gesundheitsamt beteiligt sind. Suizid sei ein Krankheitssymptom von Stimmungs- und Suchterkrankungen sowie Psychosen, erklärt Reif. Depressionen seien der höchste Risikofaktor. Deshalb könne man mit guter Behandlung viele Tode verhindern.

          Dies gilt auch für Menschen, die schon einmal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. 20 Prozent würden es innerhalb eines Jahres ein weiteres Mal versuchen, sagt Schneider. Genau das wolle man verhindern, erklärt Reif. In den psychiatrischen Kliniken der Stadt würden im Monat etwa 35 Patienten nach einem Suizidversuch behandelt. Schätzungen gehen aber von 150 Suizidversuchen im Monat in der Stadt aus. „Das heißt, drei Viertel der Betroffenen kommen nicht mit einem Psychiater in Kontakt“, sagt Reif.

          Hoher Aufwand notwendig

          Um diese Menschen zu erreichen, werden jetzt Hausärzte und Einsatzkräfte geschult, Plakate und Broschüren verteilt. Um in Krisen besser helfen zu können, wurde zusätzlich zu den vorhandenen Hilfen, die im Internet unter www.frans-hilft.de zu finden sind, die zentrale Telefonnummer 63 01 31 13 eingerichtet, unter der rund um die Uhr eine der psychiatrischen Kliniken zu erreichen ist. Zudem wird untersucht, wie und wo sich Menschen das Leben nehmen. Eine Präventionsmaßnahme sei zum Beispiel, dass Haushaltsgas inzwischen weniger giftig sei, berichtet Reif. Auch sollten gefährliche Bauten besser abgesichert werden.

          Seit den achtziger Jahren seien die Suizidzahlen schon stark gesunken, berichtet Schneider. Damals hätten sich in den alten Bundesländern pro Jahr etwa 23 000 Menschen das Leben genommen, inzwischen seien es 10 000 in ganz Deutschland. Nach Angaben von Michael Witte, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, konnte die Zahl der Suizide in Berlin mit dem Ausbau des Hilfenetzes von 1000 auf 400 im Jahr reduziert werden.

          Um die Rate noch weiter zu senken, sei allerdings ein hoher Aufwand nötig. Im vergangenen Jahr habe es jedoch Fortschritte gegeben, sagt Schneider. So habe das Bundesgesundheitsministerium bis 2020 insgesamt 3,5 Millionen Euro für Projekte zur Aufklärung und Erforschung von Suiziden bereitgestellt. Allein 750 000 Euro davon gehen an den Main. „Damit wollen wir die Suizidprävention zunächst in Frankfurt substantiell verbessern und dann die Erkenntnisse allen Standorten zur Verfügung stellen“ sagt Reif.


          Hilfe bei Suizidgedanken

          Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.

          Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

          Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.
          Der Anruf bei der Telefonseelsorge ist nicht nur kostenfrei, er taucht auch nicht auf der Telefonrechnung auf, ebenso nicht im Einzelverbindungsnachweis.

          Ebenfalls von der Telefonseelsorge kommt das Angebot eines Hilfe-Chats. Die Anmeldung erfolgt auf der Website der Telefonseelsorge. Den Chatraum kann man auch ohne vereinbarten Termin betreten. Sollte kein Berater frei sein, klappt es in jedem Fall mit einem gebuchten Termin.

          Das dritte Angebot der Telefonseelsorge ist die Möglichkeit der E-Mail-Beratung. Auf der Seite der Telefonseelsorge melden Sie sich an und können Ihre Nachrichten schreiben und Antworten der Berater lesen. So taucht der E-Mail-Verkehr nicht in Ihren normalen Postfächern auf.

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