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Medizinstudium : Albtraum statt Studienbeginn an der Goethe-Uni

  • -Aktualisiert am

Mehr als 280 Bewerber haben geglaubt, sie hätten einen Medizin-Studienplatz in Frankfurt sicher. Bild: Patrick Slesiona

Einen Tag nach dem Erhalt eines Zulassungsbescheids haben angehende Studenten eine E-Mail über dessen Rücknahme erhalten. Die Universität sucht noch nach einer Lösung.

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          Ein Zulassungsbescheid sollte eigentlich ein Grund zur Freude sein. Er vermittelt die Sicherheit, dass der Bewerber einen festen Platz an der gewünschten Universität bekommt. Aber nicht für Bewerber der Studiengänge der Medizin und Zahnmedizin an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie haben einen Tag nach der Verteilung der Zulassungsbescheide eine automatische E-Mail mit dem Betreff „Rücknahme des Bescheids über die Zulassung zum Studiengang Medizin“ erhalten.

          „Es war ein Schock, ich habe einen richtigen Nervenzusammenbruch bekommen“, sagt die 23 Jahre alte Bewerberin, die in diesem Artikel Nina heißt, da sie ihren echten Namen nicht nennen möchte. Nina wartet schon seit vier Jahren auf einen Studienplatz. Eigentlich war ihr von Anfang an klar, dass eine Bewerbung mit einem schlechteren Abiturschnitt als 1,0 nicht einfach wird. Um diesen lang gehegten Traum erfüllen zu können, musste sie Umwege gehen.

          Nun steht sie vor einem Existenzproblem

          Eine dreijährige Ausbildung als medizinisch-technische Laboratoriumsassistentin und ein gut bestandener Medizinertest (TMS) sind gute Voraussetzungen für einen Studienplatz. Der Erfolg waren acht Zusagen von unterschiedlichen Universitäten in Deutschland. Und genau zwei Wochen später eine neunte, die am meisten erwartete Zusage von der Goethe-Uni. Nina hatte die Frankfurter Universität als höchste Priorisierung im Bewerbungsportal, was bedeutet, dass die anderen acht Plätze verfielen und an andere Bewerber aufgeteilt wurden, sobald sie ihr Studienplatzangebot angenommen hatte.

          Alle notwendigen Unterlagen und Studiengebühren schickte sie am selben Tag ab und kündigte ihre Arbeit und die Wohnung in Gießen. Nur einen Tag später sah sie die E-Mail mit der Rücknahme des Zulassungsbescheids, die sie zufälligerweise im Spam-Ordner fand und zuerst für unecht hielt: „Ich glaube, ich habe seit Freitag höchstens zwei Stunden geschlafen“, sagt sie. „Jetzt nicht nur um einen Platz an der Uni, sondern auch um ein Existenzpro­blem. Ich habe alles in meinem Leben gemacht, um mein Ziel zu erreichen, und jetzt fühle ich mich wie in einem Loch.“

          Nina ist eine von 282 Bewerbern, die am Freitagabend ihre Studienplätze durch den Fehler im Übermittlungsprozess verloren haben. Die reguläre Kapazität für beide Studiengänge liegt bei 421 Studienplätzen. Zu dem Übermittlungsfehler äußert sich ein Pressesprecher der Goethe-Universität folgendermaßen: „Der Fehler ist im Übermittlungsprozess der Daten an die Stiftung Hochschulzulassung durch eine Fehleingabe seitens der Goethe-Universität entstanden. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände ist der Fehler zu spät entdeckt worden, um das Verfahren noch stoppen zu können.“

          Christina zählt auch zu den Betroffenen. Zum zweiten Mal versucht sie einen Medizin-Studienplatz zu bekommen. Ihre Gefühle in den vergangenen zwei Tagen kann sie mit einem Wort beschreiben: Achterbahnfahrt. Die 19 Jahre alte Frau schwankt zwischen Glück und Verzweiflung. Seit drei Tagen versucht sie, sowohl die Universität als auch das Bewerbungsportal Hochschulstart zu kontaktieren.

          Doch sie hört immer dieselbe Antwort: „Wie arbeiten an einer Lösung.“ Genauso wie die anderen kann sie nicht mehr an dem Nachrückverfahren teilnehmen, das am Samstag angefangen hat, weil sie im System immer noch als „zugelassen“ gilt. Sie kann außerdem keine anderen Angebote mehr annehmen, denn sie sind gemäß des Priorisierungsprinzips verfallen. Wie es für sie jetzt weitergeht, weiß sie selbst noch nicht.

          Alle anderen Angebote sind verfallen

          Einen Studienstart im Sommersemester für die Medizinstudenten bieten nur zehn von 39 Universitäten an, und die Goethe-Universität gehört nicht dazu. Eine Sache steht aber fest – sie will sich an einen Anwalt wenden und die Universität verklagen. Ben (20) lässt sich auch schon von einem Anwalt beraten. Nachdem er am Wochenende mehrere E-Mails an die Universitätsverwaltung, die Website Hochschulstart und den Bildungsminister geschickt hat, will er endlich wissen, wie es weitergeht.

          Ob die Studenten rechtliche Ansprüche durchsetzen können, ist ungewiss. In dem der Platzrücknahme beigefügten PDF-Dokument bezieht sich die Goethe-Universität auf den Paragraph 1 des Staatsvertrags über die Hochschulzulassung. „Der Zulassungsbescheid kann zurückgenommen werden, wenn er fehlerhaft ist. Dies ist vorliegend der Fall“, erklärte die Uni.

          Am 18. August, kurz nachdem Ben seinen Zulassungsbescheid bekommen hat, erhielt er eine E-Mail von der Website Hochschulstart, dass er nicht mehr leer ausgehen könne, sobald er ein Zulassungsangebot habe. „Und jetzt habe ich sechs Zusagen und ich bin trotzdem immer noch ,leer‘“, sagt er. Das ist sein dritter Versuch.

          Hinter sich hat er schon eine abgeschlossene Ausbildung als Rettungssanitäter und ein fünfmonatiges freiwilliges soziales Jahr im Krankenhaus. „Jetzt brauche ich einen Studienplatz und nicht ein Beratungsangebot, das die Universität uns zur Verfügung gestellt hat“, sagt Ben. Bei dem Beratungsangebot geht es um verschiedene Überbrückungsmöglichkeiten und Alternativen zum Medizinstudium.

          „Wofür brauche ich eine Alternative, wenn ich mich schon vor langer Zeit für ein Medizinstudium entschieden habe?“, fragt sich der 18 Jahre alte Dimitris. Er ist noch in Griechenland, seinem Heimatland. Seine Koffer sind schon gepackt, der Mietvertrag ist unterschrieben, und die Kaution in Höhe von 2000 Euro für die Wohnung in Frankfurt ist eingezahlt.

          Zuvor hatte er ein internationales Abitur gemacht und eine überdurchschnittliche Note beim TMS erzielt. Bis zum Freitagabend lagen ihm zehn unterschiedliche Angebote sowohl für die Zahnmedizin als auch für die allgemeine Medizin vor, die nun alle verfallen sind. „Ich bin ein professioneller Skifahrer und weiß, wie es sich anfühlt, wenn man am Ende alles verliert“, sagt er. Aber dass ihm das nach dem „Finale“ passieren würde, habe er sich nicht vorstellen können.

          Der Fehler von Frankfurt hat Folgen für Universitäten in ganz Deutschland. Durch die zunächst ausgesprochenen Zusagen für die 282 Bewerber sind 282 Plätze beim Nachrückverfahren an andere Studierende auf unteren Positionen der Warteliste vergeben worden. Die Goethe-Universität überlegt, wie sie den Betroffenen gezielt helfen kann. „Die Prüfungen dazu sind jedoch noch nicht abgeschlossen“, heißt es.

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