Frankfurt : Schön, dass wir darüber gesprochen haben
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Treffpunkt: Zwei der drei Lesegruppen tagen im Literaturhaus. Bild: Wonge Bergmann
Gemeinsames Lesen ist gut für die Seele: Das Literaturhaus, die Stadtbücherei und das Hospital zum heiligen Geist erproben zusammen „Shared Reading“.
Aus Liverpool kommen nicht nur die Beatles und zuletzt schlechte Fußballnachrichten für Jürgen Klopp. Dort ist vor zwei Jahrzehnten auch eine neue Art des gemeinsamen Lesens entstanden, die vom Literaturhaus, der Stadtbücherei und dem Hospital zum heiligen Geist nun in Frankfurt erprobt wird. „Shared Reading“ heißt die Bewegung, bei der sich Gruppen zum gemeinsamen Vorlesen einer Erzählung, eines Romans oder eines Gedichtes treffen. Über die emotionale Wirkung des Textes auf die Teilnehmer wird anschließend ausführlich, offen und ehrlich gesprochen, angeleitet von einem eigens ausgebildeten Moderator.
In Großbritannien gibt es inzwischen zahlreiche Gruppen an Schulen und in Krankenhäusern, in Frankfurt als zweiter deutscher Stadt nach Berlin kommen in den nächsten Wochen drei weitere hinzu. „Es geht darum, Literatur so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen“, sagt Hauke Hückstädt, Leiter des Literaturhauses, der das Modell gestern zusammen mit seiner Kollegin Sabine Homilius von der Stadtbücherei vorstellte. Von herkömmlichen Lesezirkeln unterscheide sich „Shared Reading“ durch die konzentrierte Atmosphäre, sagte Homilius: „Am meisten begeistert mich, dass Bindung entsteht – nicht nur zwischen der Bücherei und den Lesern, sondern auch untereinander und miteinander.“
Das Interesse für Literatur ist groß
In Großbritannien kommen einzelne Gruppen inzwischen seit vielen Jahren zusammen und sind dazu übergegangen, über mehrere Monate hinweg ganze Romane zu lesen. In Frankfurt soll es in Runden von jeweils etwa zwölf Teilnehmern zunächst um Erzählungen gehen, die vom Moderator ausgewählt und zu Beginn der Sitzung in Kopie verteilt werden. Zum Abschluss des Treffens rundet ein ebenfalls vom Gesprächsleiter bestimmtes Gedicht die Diskussion ab. Die beiden Gruppen, die sich von Anfang März an im Literaturhaus treffen, moderiert während der ersten drei Monate Carsten Sommerfeldt. Der ehemalige Verlagsleiter von Droemer Knaur und spätere Pressechef des Berlin Verlags ist zusammen mit seinem Geschäftspartner Thomas Böhm vor zwei Jahren in Liverpool auf „Shared Reading“ gestoßen (F.A.Z. vom 19. September 2015) und bietet es in Deutschland nun mit seiner Agentur an.
Wer derzeit eher zivilisationskritisch gestimmt ist, kann bedauern, dass die alte bürgerliche Kulturtechnik des gemeinschaftlichen Lesens mit Familienangehörigen und Freunden nun so aufwendig wiederentdeckt werden muss. Anmerken ließe sich auch, dass die jedermann zugängliche Idee des Vorlesens von Sommerfeldts Agentur erfolgreich privatisiert worden ist: Für die mehrtägige Ausbildung eines Moderators zahlen Einrichtungen, die an „Shared Reading“ teilnehmen, ihr 1200 Euro. Aber Hückstädt und seine Kollegen sind angetan von der Stimmung auf den von ihnen veranstalteten Probetreffen. Und das Interesse ist groß.
Vom 16. Februar an trifft sich die vom Gesundheitsamt und der BHF-Bank-Stiftung geförderte Lesegruppe der Stadtbücherei. Sie richtet sich an Senioren; alle Plätze sind belegt. Auf die Warteliste setzen lassen kann man sich unter der Rufnummer 21232368 und der E-Mail-Adresse literarisches.miteinander@stadtbuecherei.frankfurt.de. Im Literaturhaus kommt vom 1. März an eine Gruppe ehemaliger Patienten des Hospitals zum heiligen Geist zusammen, die im nebenan gelegenen Krankenhaus wegen Depressionen und Angststörungen behandelt wurden. „Wir lernen Patienten kennen, deren inneres Dilemma es ist, widersprüchliche Gefühle zu erleben, mit denen sie nicht zurechtkommen“, sagt die Ärztin Christiane Faust-Bettermann: „Gute Literatur hat das schon in Worte gefasst.“ Auch hier sind alle Plätze besetzt.
Das gilt nicht für die ebenfalls von der Marschner-Stiftung geförderte Gruppe für alle Frankfurter, die im Literaturhaus vom 2. März an jeweils donnerstags von 17 Uhr an tagt. Anmeldungen nimmt Benno Hennig von Lange unter der Rufnummer 75618419 und der E-Mail-Adresse vonlange@literaturhaus-frankfurt.de entgegen. Und wenn sich zu viele melden? „Dann wenden wir uns an unsere Förderer“, sagt Hückstädt.