https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/frankfurt-hauptbahnhof-mord-motive-von-habte-a-sind-unklar-16312342.html

Anschlag in Frankfurt : Habte A. handelte mit entschlossener Ruhe

Ein Verhalten, das man von Amokläufern kennt

Ob die Tat in Frankfurt zu diesem Zeitpunkt schon geplant war, weiß nach derzeitigen Erkenntnissen niemand außer Habte A. selbst. Fest steht, dass er den Mord und die beiden Mordversuche mit entschlossener Ruhe und Selbstbeherrschung beging, ein Verhalten, das man vor allem von Amokläufern kennt. Augenzeugen berichteten, er habe mit starren Blick auf Gleis 7 gestanden, ehe er sich plötzlich auf die Mutter und den Jungen gestürzt habe, um sie auf die Gleise zu stoßen. Dann, als der ICE schon vorbeigerollt war, attackierte er eine 78 Jahre alte Frau. Hatte sich der Täter tatsächlich das Leben nehmen wollen, hat er es sich wohl spätestens in diesem Moment anders überlegt. Er flüchtete; weil Reisende, unter ihnen ein Beamter der Landespolizei, der privat unterwegs war, ihn verfolgten und stellten, konnte er gefasst werden.

Noch ist nicht entschieden, ob der Vierzigjährige in der Untersuchungshaft psychiatrisch untersucht werden soll. Das hänge von seinem Verhalten und den Erkenntnissen ab, die aus der Schweiz übermittelt werden, heißt es aus Justizkreisen. Gerade bei Kapitaldelikten, die möglicherweise mit einer seelischen Erkrankung oder Störung im Zusammenhang stehen, ist eine solche Exploration inzwischen jedoch die Regel. Auf der Grundlage des Gutachtens wird dann entschieden, ob der Betreffende bis zum Prozess vorläufig in die forensische Abteilung einer Psychiatrie eingewiesen wird. Die endgültige Expertise hilft den Richtern schließlich zu klären, ob die Schuld des Angeklagten vermindert war oder er sich während der Tat sogar in einem schuldunfähigen Zustand befand. Überdies sind viele Angeklagte eher bereit, mit Psychiatern über die Tat und ihre Motive zu sprechen als mit der Polizei und dem Gericht.

Paranoide Menschen nehmen Umwelt als „verzerrt“ wahr

Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt, will dem Eindruck, nach ersten Vernehmungen wirke der Täter psychisch gesund, in keiner Weise etwas entgegensetzen. „Rein medizinisch gibt es aber, wenngleich selten, Erkrankungen, die einem solchen Verhalten zugrunde liegen können“, sagt er. So könne es bei dem Krankheitsbild der Paranoia, bei der ein sogenannter systematisierter Wahn ein Symptom sein kann, dazu kommen, „dass Betroffene ihre Umwelt als verzerrt und beängstigend wahrnehmen, dass sie sich in bestimmten Situationen bedroht fühlen und dementsprechend handeln, außerhalb dieser wahnhaften Reaktionen aber auf den ersten Blick als geordnete und gesunde Person erscheinen“.

Jens Hoffmann, Leiter des Instituts Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt, warnt vor allem vor Nachahmertaten. „Je mehr darüber berichtet und spekuliert wird, umso größer ist die Gefahr, dass eine weitere ähnliche Tat folgt“, so der Kriminalpsychologe. „Eine Tat, die vorher noch undenkbar erscheint, wird plötzlich real, eine Möglichkeit für andere, es dem Täter gleichzutun.“

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