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Hilfsbund Christen im Orient : Am Anfang stand ein Flugblatt

Zuflucht: Das Waisenhaus Bethel in Marasch im südlichen Anatolien. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1901. Bild: Christlicher Hilfsbund im Orient

Seit 125 Jahren unterstützt der Hilfsbund Christen im Orient. Auslöser waren die Massaker an den Armeniern im Jahr 1896, die in Deutschen Zeitungen wenig Beachtung fanden.

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          Es hat ihn nicht losgelassen, was Ernst Lohmann, Pfarrer an der Christuskirche im Frankfurter Westend, 1896 aus dem Christian Herald erfuhr. Die amerikanische Zeitschrift berichtete von Massakern an Tausenden Armeniern im Osmanischen Reich, für die Sultan Abdul Hamid den Befehl gegeben habe. Ein Botschafterbericht sprach wenig später von 88.000 Toten, Schätzungen reichen bis zu einer Zahl von 300.000. Hunderte Kirchen wurden zerstört und Dörfer geplündert. Besonders irritierte Lohmann, dass er davon in deutschen Zeitungen noch nichts gelesen hatte.

          Bernhard Biener
          Redakteur in der Rhein-Main-Zeitung

          Wie später auch bei den noch größeren Massakern und Deportationen im Jahr 1915 wollte das Deutsche Reich einen Bruch mit dem türkischen Verbündeten um jeden Preis verhindern. Lohmann entschloss sich, die Öffentlichkeit mit einem Flugblatt unter dem Titel „Notschrei Armeniens“ über die Lage in Kleinasien zu informieren, wo die Überlebenden ohne Obdach hungerten.

          Das Datum 2. Februar 1896, an dem das Flugblatt erschien, gilt als Geburtsstunde der evangelischen deutschen Armenienhilfe. Deshalb begeht der Christliche Hilfsbund im Orient jetzt die Gründung vor 125 Jahren. An diesem Samstag ist die offizielle Jubiläumsfeier in der Bad Homburger Erlöserkirche. Die in Frankfurt entstandene Organisation ist seit Langem in der Kurstadt ansässig. Früher verfügte der Hilfsbund mit dem Haus am Park über eine eigene Immobilie, die auch als Gästehaus diente.

          Doch die Arbeit hat sich nach Worten von Geschäftsführer Andreas Baumann gewandelt. Statt einen großen eigenen Apparat zu unterhalten, setze man heute ausschließlich auf lokale Partner. 2003 wurde das Haus verkauft, um mit dem Erlös eine Stiftung zu gründen. Sie finanziert zu einem großen Teil die Verwaltungskosten des gemieteten Büros mit fünf Mitarbeitern, die sich drei Stellen teilen. Die Spenden, normalerweise zwischen 500.000 und 600.000 Euro im Jahr, fließen in die Projektarbeit.

          Patenschaften für Waisenkinder

          Das Flugblatt löste eine große Hilfsbereitschaft aus. Noch im ersten Jahr kamen 265.000 Mark zusammen, mit denen zunächst die Arbeit amerikanischer Missionare unterstützt wurde. Am 2. Juli 1896 wurde in Frankfurt der „Deutsche Hülfsbund für Armenien“ gegründet.

          Ein zweites Komitee, das in Berlin unter Leitung von Pfarrer Johannes Lepsius entstand, arbeitete schon bald eigenständig. Lohmann und Lepsius seien zwei „starke Köpfe“ gewesen, sagt Geschäftsführer Baumann, die theologisch und inhaltlich nicht immer auf einer Linie gelegen hätten. Insofern sei die Trennung vermutlich die bessere Lösung gewesen.

          Lohmann war von Pietismus und Erweckungsbewegung geprägt und an der Gründung des Bibelhauses Malche am Oderbruch und des Deutschen Frauen-Missions-Gebetsbunds beteiligt. Der von ihm initiierte Hilfsbund konnte in der Türkei bald die ersten 400 armenischen Waisenkinder aufnehmen.

          Einige wurden nach Deutschland geholt, was sich jedoch als nicht sinnvoll erwies. Stattdessen suchte der Hilfsbund „Pflegeeltern“, die mit einem regelmäßigen Beitrag ein bestimmtes Kind in einem Waisenhaus in der Türkei unterstützen sollten. Die Idee solcher Patenschaften nutzen heute viele Hilfsorganisationen.

          In den folgenden Jahren entstanden an Ort und Stelle Waisenhäuser, Schulen, medizinische Stützpunkte, Werkstätten und eine Bibelfrauenschule. Die größte Belastungsprobe folgte erst noch. In der Zeit der Deportationen und Massaker von 1915 bis 1917, deren Einschätzung als Völkermord regelmäßig auf Protest seitens der Türkei stößt, konnte der Hilfsbund viele seiner Schützlinge retten. Die deutsche Botschaft, zu der sonst ein gespanntes Verhältnis bestand, setzte durch, dass Armenier mit Verbindung zum Hilfsbund als Angehörige der deutschen Mission galten und überlebten.

          Nachhilfe für Kinder ohne Schulen

          Die Arbeit verlagerte sich nach dem Ersten Weltkrieg auf Bulgarien und Griechenland, wohin überlebende Armenier geflüchtet waren. 1947 unterstützte der Hilfsbund in Andschar in Libanon den Aufbau eines Dorfs. Armenische Flüchtlinge, die sich 1915 auf den Berg Musa Dagh gerettet hatten und von französischen Schiffen aufgenommen worden waren, ließen sich dort in der Bekaa-Ebene nieder.

          Die Schule mit Internat hatte bis vor wenigen Jahren einen deutschen Missionsleiter und war ursprünglich auf den Schweizer Hilfsbund eingetragen. Inzwischen wird sie von einem armenischen Ehepaar geleitet und von der Evangelisch-armenischen Kirchenmission getragen.

          Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich der Hilfsbund in Aleppo engagiert. Der Bürgerkrieg in Syrien führte jüngst wieder dazu, dass dort zunächst Nothilfe geleistet wurde. „Jetzt unterstützen wir unter anderem Nachhilfeprogramme für Kinder, die lange nicht in die Schule gehen konnten“, sagt Baumann.

          Im Nordirak, wohin Christen durch den sogenannten Islamischen Staat vertrieben worden seien, vergebe man Kleinkredite an Handwerker und kleine Händler. „Auch hier nutzen wir lokale Organisationen.“ Es ist das Jubiläumsprojekt zur Gründung vor 125 Jahren. 125.000 Euro an Spenden sollen 30 Arbeitsplätze schaffen und den Familien eine Lebensgrundlage in ihrer Heimat geben.

          Der Christliche Hilfsbund hat als Verein heute 60 Mitglieder. Die Zahl der Unterstützer sei aber weit größer, sagt der Geschäftsführer. Sie ließen sich über die Zeitschrift informieren, von der 3000 Exemplare versandt würden. Spendenaufkommen und Personal hätten sich zuletzt sogar leicht erhöht. Dazu hätten die akuten Krisen im Nahen Osten beigetragen. Die Verbindung zu den armenischen Christen bleibe dabei eine Besonderheit des Hilfsbunds.

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