Bookcrossing : Wenn Bücher auf Reisen gehen
- Aktualisiert am
Die junge Frau verläßt die Parkbank schnellen Schrittes. Ein Weile hat sie dort gesessen und darauf gewartet, daß niemand mehr vorübergeht. Jetzt ist die Bank schon fast aus ihrer Sichtweite. Die Gefahr, daß ihr jemand das Buch, das sie dort deponiert hat, hinterhertragen könnte, gebannt.
Die junge Frau verläßt die Parkbank schnellen Schrittes. Ein Weile hat sie dort gesessen und darauf gewartet, daß niemand mehr vorübergeht. Jetzt ist die Bank schon fast aus ihrer Sichtweite. Die Gefahr, daß ihr jemand das Buch, das sie dort deponiert hat, hinterhertragen könnte, gebannt. Die Jagd ist eröffnet.
Das System heißt "Bookcrossing" und kommt aus Amerika. Rund 350000 Nutzer haben sich auf der Internetseite www.bookcrossing.com registriert, um die Wege von knapp zwei Millionen Büchern rund um den Globus zu erforschen.
Das Prinzip dieser Wanderbewegung, deren Begrifflichkeiten aus der Tierwelt stammen, ist recht einfach: Anstatt ein Buch im Regal verstauben zu lassen, läßt man es einfach absichtlich irgendwo liegen - in den Worten der Bookcrosser "läßt man es frei". Nach dem Zufallsprinzip wird es so von einem anderen gefunden, der es liest und nach der gleichen Methode wieder "freiläßt". Da jeder Bookcrosser wissen möchte, wo sich sein Buch gerade befindet, muß er sich und das Buch auf der Internetseite des Netzwerks registrieren. Das Buch erhält eine Nummer, auf die sich die nachfolgende Kommunikation stützt. So kann der Finder des heimatlosen Buches zum einen nachschauen, wer es am Fundplatz liegenließ und wo es schon überall gewesen ist. Zum anderen kann er den neugierigen Vorbesitzer über das Wohlergehen seines Schmökers informieren.
Jeden zweiten Dienstag im Monat treffen sich auch in Frankfurt Bookcrossing-Begeisterte in der sogenannten "Bookcrossing-Zone" im Bockenheimer Aktiv-Cafe. Die Gesprächsthemen an diesen Abenden: Bücher "freilassen" und Bücher "jagen". Gerlinde Kränzlein nennt sich auf der Bookcrossing-Internetseite "Krimtango". Sie ist von Anfang an bei den Frankfurter Bookcrossern dabei. Mit ihrem ungewöhnlichen Hobby würde sie am liebsten "die ganze Welt in eine Bibliothek" verwandeln. Zusammen mit rund 20 anderen Bookcrossern sitzt sie an den zusammengeschobenen Tischen im Keller des Cafes. Der überwiegende Teil sind Frauen. Auch Stadtneulinge sind bei den Treffen immer gerne gesehen. "Am Anfang dachte ich, man bekäme mit Bookcrossing seine Regale leer", sagt Gerlinde Kränzlein, "aber ganz im Gegenteil, die Regale werden immer voller!"
Auf den Tischen türmen sich Bücher - es wird kräftig getauscht. Was nicht wieder mitgenommen wird, landet im Bücherregal des Cafes eine Etage weiter oben. Im Moment findet man neben Diät-Ratgebern und französischen Büchern Titel wie "Das Herz ist eine miese Gegend", "Von Menschen, Schweinen und dem lieben Gott" oder gar "Feminismus oder Tod" im Regal. Auch der Inhaber des Cafes ist begeisterter Bookcrosser. Angesichts der aktuell mageren Ausbeute im Regal versichert er allerdings, nach den Bookcrossing-Abenden sei es immer zum Bersten voll - auch mit guten Büchern. Allerdings seien nach kaum einer Woche nur noch alte Schinken übrig.
Gerlinde Kränzlein zieht es da mehr nach draußen. Sie liebt es, Bücher an bestimmten Orten "freizulassen", um dann via Internet mitzuerleben, wohin es sie verschlägt. Ihr Spezialplatz ist die Parkbank neben dem Geldautomaten der Filiale der Deutschen Bank in Rödelheim. Ein dort ausgesetztes Buch hat es sogar schon bis in eine deutsche Bibliothek in die Türkei geschafft. Auch mit der Straßenbahn Linie 17 hat sie gute Erfahrungen gemacht. Hier bleibe kein Buch lange liegen - anscheinend nutzen diese Linie viele begeisterte Leser. Im Gegensatz zu der eher von Studenten bevölkerten U-Bahn-Haltestelle Bockenheimer Warte.
Was ist der Reiz daran, Bücher mit Registriernummern und Aufklebern zu versehen und sie - möglichst unbemerkt - im schlechtesten Fall dem Regen oder der städtischen Müllabfuhr zu überlassen? Für Viola Löbig alias "Velvet" ist es der Nervenkitzel, Bücher an den unterschiedlichsten Stellen zu hinterlassen und dann mitzuverfolgen, wohin es sie trägt. Die Bücher wanderten durch die ganze Welt, und plötzlich seien sie in Lyon oder in Tschechien. Löbig findet das "sagenhaft". Doch nicht nur die Bücher begeben sich dann und wann auf Fernreisen. Auch die internationale Bookcrosser-Vereinigung organisiert Zusammenkünfte wie kürzlich in Basel. Großflächig wurden dort alle mitgebrachten Bücher verteilt. Sogar in den Bäumen: Dort hing auch ein Buch des Frankfurter Karikaturisten Chlodwig Poth. "Das habe ich dann aus lauter Mitleid wieder mit in die Heimat genommen", sagt Gerlinde Kränzlein verschmitzt und lacht. LUCIA LENZEN