Porträt : Der Abschlepper vom Dienst
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Präzisionsarbeit: Gerd Haase fährt ein Auto auf die Rampe seines Abschleppwagens Bild: Norbert Müller
Unfälle, Pannen und Defekte bestimmen den Job von Gerd Haase. Jeden Tag ist er auf den Straßen in und um Frankfurt im Einsatz. Für viele Autofahrer bringt er das Glück im Unglück.
Das Drahtseil strafft sich, dann setzt sich der dunkelblaue Mercedes-Kombi in Bewegung. Langsam rollt er auf die metallene Rampe. Die Winde surrt und zieht das schwere Fahrzeug die Steigung hinauf. Am Steuer sitzt Gerd Haase. Er manövriert das Auto auf die Metallschienen seines Abschleppwagens. Als alle Räder richtig stehen, drückt er auf den Knopf einer Fernbedienung. Die Rampe, das Plateau, schiebt sich auf die Ladefläche des Iveco Daily. Haase zieht die Handbremse des Kombis und springt auf den Boden.
Was vierzig Minuten zuvor auf der Bundesstraße 8 kurz hinter Königstein geschehen ist, lässt ein Blick auf den Reifen links hinten ahnen: Der ist hinüber. Geplatzt bei Tempo 80. Die Fahrerin, eine blonde Frau Anfang 50, ist blass. Trotzdem redet sie ohne Pause. Gerd Haase kennt das. Es kommt vom Schock und der Erleichterung darüber, dass sie unverletzt geblieben ist.
Als der Reifen platzte, verlor die Fahrerin die Kontrolle über den 15 Jahre alten Diesel. Sie prallte mit dem linken Kotflügel an die Betonwand, die beide Fahrtrichtungen voneinander trennt. Der Wagen stellte sich quer. Was sie tun sollte, wusste die Frau nicht. „Ich habe hinterm Steuer gesessen und geweint“, sagt sie. Haase nickt. Zum Glück fuhr kein anderes Auto neben oder hinter ihr. Als dann irgendwann doch eins kam, saß ein Fahrlehrer darin. Der wusste, was zu tun ist. Er bugsierte den Mercedes auf den Seitenstreifen und sicherte die Stelle mit einem Warndreieck in 100 Metern Entfernung. „Ich bin dem Fahrlehrer so dankbar“, sagt die blonde Frau. „Manche Leute sind doch sehr nett.“
Für ihn Routine, für die Autofahrer Notfall
Gerd Haase bittet die Frau in den Abschleppwagen. Sie setzt sich auf die Rückbank und redet weiter. Die Fahrt geht nach Oberursel, in eine Karosseriewerkstatt, die den Schaden beheben soll. Auf dem Weg lässt er die Frau am Opel-Zoo aussteigen. Sie winkt zum Abschied.
Für Haase ist so ein Einsatz Routine, für die meisten Autofahrer, denen er hilft, eine Ausnahmesituation. Haase - 39 Jahre alt, 1,70 Meter, kompakt, Wollmütze mit Jack-Daniel’s-Aufnäher - weiß das. Unfall oder Panne, die Sorgen der Kunden sind fast immer ziemlich groß. Viele freuen sich deshalb, wenn Haase auftaucht. Sie atmen durch, sobald er da ist. Haase hilft gern. Meistens jedenfalls.
Begonnen hat sein Arbeitstag an der Rödelheimer Landstraße, im Hof des Abschleppdiensts von Alfred Meyer. Haase hat Kraftfahrzeugmechaniker gelernt, dann am Flughafen zwölf Jahre lang Gepäck abgefertigt. Seit zwei Jahren fährt er für Meyer. Während er auf Aufträge wartet, ölt er das Werkzeug: die Ratschen der Befestigungsgurte, die Lauffläche des Plateaus. Aber Leerlauf ist selten. Von acht bis 17 Uhr fährt Haase täglich zwischen fünf und zehn Einsätze. Jeden zweiten Abend und jedes zweite Wochenende hat er außerdem Rufbereitschaft. Es gibt zwar immer auch einen Nachtfahrer, aber wenn der allein die Aufträge nicht schafft, bekommt Haase einen Anruf. Damit er dann schnell loskommt, nimmt er an solchen Tagen den Abschleppwagen mit nach Hause. „Ich kann halt nicht sagen: Okay, is’ 17 Uhr, Hammer weg.“
In einem flachen Gebäude arbeitet Michael Becker. Die Kollegen nennen ihn „Bemi“, für „Becker, Michel“, aber „Bemi“ passt zu dem kantigen Mann ungefähr so gut, als würde ein Rehkitz „Rambo“ gerufen. Becker sitzt an einem Schreibtisch mit zwei Bildschirmen. Klingelt das Telefon, nimmt er ab. Becker ist Disponent. Seine Aufgabe ist es, die Aufträge möglichst rasch und geschickt an die Fahrer zu verteilen.