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Bauchredner : Den Kessler-Zwillingen die Show gestohlen

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Im Tivoli in Kopenhagen hat ihm Marlene Dietrich die Servietten gebügelt. Jene Servietten, aus denen George Schlick, der wohl beste Bauchredner der Welt, noch heute sein berühmtes Häschen formt. Besucher des Tigerpalastes, wo Schlick noch bis zum 5.

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          Im Tivoli in Kopenhagen hat ihm Marlene Dietrich die Servietten gebügelt. Jene Servietten, aus denen George Schlick, der wohl beste Bauchredner der Welt, noch heute sein berühmtes Häschen formt. Besucher des Tigerpalastes, wo Schlick noch bis zum 5. Dezember zu sehen ist, kennen Schlicks Frage an das Langohr aus Batist: "Bist du ein Junge oder eine Mädchen?"

          Die Dietrich hat damals im Tivoli auch gefragt, aber etwas anderes, nämlich: "Was tun Sie da?" Und George Schlick blickte von seinem Bügelbrett auf und antwortete: "Bügeln." Worauf Marlene Dietrich ihn wissen ließ, daß diese Arbeit eines Mannes unwürdig sei und sie ihm fürderhin die Servietten bügeln werde. Was sie auch getan hat, bis sich Schlick einmal über ihr Lied "Sag mir, wo die Blumen sind" lustig machte, womit das Kapitel "Diva bügelt Servietten" beendet war.

          George Schlick kann viele Geschichten erzählen, er ist ja auch viel herumgekommen in der Welt während der vergangenen vierzig, fünfzig Jahre, hat bei seinen Auftritten mit manchen Berühmtheiten zusammengearbeitet, in Frankreich etwa mit Jacques Brel und Charles Aznavour und Gilbert Becaud und Adamo. Was ihm alles einfällt. Damals in Spanien, als er eine Nacht lang im Knast saß, weil er in der Vorstellung seinen Dauerhit "Der Hahn ist tot" auf den Diktator Franco gemünzt hatte. Und noch eine Geschichte, die muß einfach sein, denn sie sagt viel über George Schlicks Rang im Variete-Geschäft. Als das neue Lido in Paris eröffnete, damals das Variete Nummer eins weltweit, kamen die Kessler-Zwillinge nach der Show heulend zum Manager gelaufen und verlangten, daß Schlick künftig nach ihnen auftreten müsse, weil er ihnen sonst die Schau stehle.

          Doch sprechen wir jetzt über Bauchreden. Sieht doch so einfach aus. "Ist es aber nicht", sagt Schlick. "Ganz und gar nicht." Und schon hat er eine imaginäre Fliege mit seinen beiden Händen gefangen: "Laß mich raus!" fiept das arme Insekt. Wir hätten wetten können, daß die Stimme aus Schlicks hohler Hand kommt. Kommt aber natürlich aus seinem Mund, produziert von der Kopfstimme. Kopfstimme und Bauchstimme, sie sind Schlicks Instrumente. Die Lippen indes bewegen sich nicht. Auch wenn der Professor, der bei der Tigerpalast-Premiere Oberbürgermeisterin Petra Roth begleitet hat, nach der Schau das Gegenteil behauptet hat.

          Reden, ohne die Lippen zu bewegen. Das ist die mundwerkliche Grundlage. Schlicks Kunst geht aber weit darüber hinaus. In einem Tempo sondergleichen brennt er ein bengalisches Feuer aus dadaistischem Witz, frechen Antworten und spitzen Aufschreien ab: der Frosch, der Ritter und Meister Schlick - perfekt getimte Comedy. 23 Stunden und 40 Minuten lang am Tag bereitet sich Schlick innerlich auf jene 20 Minuten vor, in denen er auf der Bühne steht. Diese 20 Minuten sind sein ganzes Leben, zumindest wenn er unter Vertrag steht: kein Film, kein Theater, keine Kneipe, nur gesunde Ernährung, Sportstudio, Konzentration auf den Auftritt. "Selbst nachts im Traum kommt der Frosch", beteuert Schlick. Aber als Erleuchteter, der bei Meister Bhagwan in Poona in die Lehre gegangen ist, kann er seine Träume steuern. Sagt Schlick und lacht, und man weiß nicht, wie ernst er das alles meint.

          Erleuchtung, das ist ein gutes Stichwort. Wann kam ihm die Erleuchtung, daß er Talent zum Bauchreden besitzt? Das war in London, erinnert sich Schlick, als er noch einem seriösen Beruf nachging, Hotelmanager im Grosvenor House, da hat er mit einem Freund im Palladium einmal einen Bauchredner gesehen. "Kann ich auch", behauptete Schlick keck, und in der Tat konnte er es, nicht so perfekt wie heute, aber die Begabung war unverkennbar. In Paris, wohin er danach gegangen ist, hat er, der nun eine Schauspielschule besuchte, seine Kunst perfektioniert. Jahrelang ist er dann durch Restaurants getingelt, bis er schließlich im Lido gelandet ist. Und dann ging es wild hin und her zwischen Auftritten in Frankreich und Suche nach Erleuchtung bei Bhagwan. Sarvesh lautet übrigens bis heute sein Sanyassin-Name.

          Bleiben wir jedoch bei George Schlick, wie Georg Schlick, der Franke aus Nürnberg, der zuerst auf der Hotelfachschule gelernt hat, in Frankreich heißt. Seit einem Jahrzehnt ist er international die Nummer eins in seinem Fach, alle kupfern bei ihm ab und klauen seine Ideen. Erreicht hat ihn bisher keiner der Imitatoren. Wie sollen sie auch, wie wollen sie mit einem Weltenbummler gleichziehen, der sich in Helsinki ebenso wohl fühlt wie auf der Bühne wie in Saloniki. Schlick spricht schließlich neben Englisch und Französisch auch Finnisch, Norwegisch, Italienisch, Spanisch, Griechisch und noch ein paar Sprachen mehr. Nur Koreanisch kann er nicht, in Korea hat er aber dennoch koreanisch bauchgeredet, zwei Monate hartes Training, und am Ende glaubten die Koreaner, seine Sätze kämen vom Band, weil sie so perfekt waren. Weshalb er damals die Schau sofort veränderte und zu achtzig Prozent englisch sprach.

          Um es nicht zu vergessen: George Schlick war und ist auch in England eine große Nummer. Lange vor der Muppets Show hat er auf BBC 1 seine eigene Muppets Show gemacht, "Foggy and me", acht Folgen. Im deutschen Fernsehen war er der erste Bauchredner mit einer eigenen Serie: "Knifflige Viecherei", 30 Jahre ist das jetzt her, Farbe gab es damals noch nicht.

          Kann man das überhaupt durchhalten, 30 Jahre dieselbe Nummer? "30 Jahre derselbe Quatsch", ruft der Frosch aus seinem Koffer, "ich möchte raus!" Man hört und sieht, George Schlick greift seine Existenz selbstironisch in seinem Auftritt auf. Man müsse sich vor dem "burn out" hüten, sagt er, rechtzeitig Pause machen. Die beginnt für ihn am 6. Dezember, dann ist sein Vertrag ausgelaufen, und er wird in ein Flugzeug steigen und nach Hawaii düsen und von dort zur Insel Maui übersetzen, seiner selbstgewählten Heimat. Warum gerade Maui? Weil man dort so gut Windsurfen kann. Arbeiten wird George Schlick erst wieder, wenn er Geld braucht. HANS RIEBSAMEN

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