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Kinder mit Kreidezähnen : Wenn die Zähne anfangen zu bröckeln

  • -Aktualisiert am

Kein schöner Anblick: Kreidezähne sind an weißen bis gelb-braunen Flecken im Zahnschmelz zu erkennen. Bild: dpa

Die Zahl der Kinder mit Kreidezähnen steigt auch in Hessen. Die Krankheit führt im schlimmsten Fall dazu, dass die Betroffenen vor Schmerzen kaum noch die Zähne putzen und essen können. Doch die Ursachen dafür sind weiter unklar.

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          Ihre Zähne verfärben sich, sind kälteempfindlich und bröckeln am Ende: Fast 20.000 hessische Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren haben sogenannte Kreidezähne. Das zeigt der kürzlich veröffentlichte „Barmer Zahnreport 2020“. Die medizinisch als Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) bezeichnete Krankheit führt im schlimmsten Fall dazu, dass Kinder vor Schmerzen kaum noch die Zähne putzen können – und das Essen kann schmerzhaft sein. Grund dafür ist, dass sich der Zahnschmelz nicht richtig aufbaut, weil die Mineralisation gestört ist.

          Meist sind die bleibenden Backenzähne betroffen, häufig aber auch die Schneidezähne. Wenn die Mineralisationsstörung schon an den Milchzähnen auftritt, steigt das Risiko, dass die nachfolgenden Zähne erkranken. Man erkennt die Kreidezähne an weißen bis gelb-braunen Flecken im Zahnschmelz. Je größer und dunkler diese sind, desto gravierender ist die Störung.

          Norbert Krämer, Chefarzt für Kinderzahnheilkunde am Universitätsklinikum Gießen, sieht darin eine neue Volkskrankheit. „Bezogen auf die Mundgesundheit und die Lebensqualität der Kinder, ist MIH mittlerweile ein größeres Problem als Karies in der Altersgruppe der Zwölfjährigen“, sagt Krämer. Seine Untersuchungen im Lahn-Dill-Kreis zeigen bei den acht bis zehn Jahre alten Kindern einen Anstieg um 60 Prozent von 2003 bis 2015.

          Fast 30 Prozent der Zwölfjährigen betroffen

          Allerdings gibt es bei der Häufigkeit deutliche regionale Unterschiede. So wiesen in Frankfurt ganze 17 Prozent der untersuchten Kinder zwischen acht und zehn Jahren eine Mineralisationsstörung auf. Im ländlichen Raum gehe man von 10 Prozent Prävalenz aus. „Das ist eine erschreckend hohe Zahl“, sagt Krämer. Die fünfte deutsche Mundgesundheitsstudie kam sogar zu dem Ergebnis, dass fast 30 Prozent der Zwölfjährigen diese Strukturanomalie aufweisen.

          Warum ein Zahn zum Kreidezahn wird, ist noch unklar. Als Ursache kommen viele Faktoren in Frage: Weichmacher aus Kunststoff, Schwierigkeiten in der Schwangerschaft, Antibiotika, Dioxine und Erkrankungen der oberen Atemwege. Vermutet wird, dass mehrere Faktoren zusammenkommen müssen. „Insgesamt muss man sagen: Wir schwimmen und wissen ganz wenig. Auf dieser Grundlage können wir kein Präventionsprogramm auflegen“, sagt Krämer. Es gebe großen Forschungsbedarf. „Da muss einfach mehr Geld in die Hand genommen werden“, fordert er. Es gebe noch eine Schwierigkeit: „Uns gehen die Experten verloren.“ In Deutschland gebe es nur noch drei Lehrstühle für Kinder- und Jugendzahnheilkunde. „Da hoffe ich auf eine Trendwende.“

          Zähne können versiegelt oder mit Füllungen restauriert werden

          Da die betroffenen Zähne anfällig für andere Erkrankungen sind, ist es wichtig, sie frühzeitig zu erkennen. Dann können die Kreidezähne auch erhalten werden. „Was immer Sinn macht ist die Prävention mit Fluoridlack“, sagt Krämer. Außerdem ist es möglich, die Zähne mit Kunststoff zu versiegeln oder mit Füllungen zu restaurieren. In schweren Fällen ziehen Ärzte allerdings die befallenen Zähne und schließen die Lücken kieferorthopädisch.

          Es besteht also dringender Handlungsbedarf, wenn die Störung erst einmal erworben wurde. „Diese Zähne müssen versorgt werden, sonst drohen dramatische Einbrüche“, sagt Krämer. „Da brauchen wir den Experten, eine individuelle Beratung in der Zahnarztpraxis.“ Allerdings waren zwischen zehn und 15 Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen noch nie beim Zahnarzt. Und das, obwohl Kinder schon vom sechsten Lebensmonat an Anspruch auf zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen haben. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen empfiehlt, die Untersuchungen unbedingt wahrzunehmen.

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