F.A.Z.-Leser helfen : Wie ein Slumbewohner in Nairobi Jugendlichen hilft
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Match vor den Müllbergen: Durch die Ayiera-Initiative sollen Jugendliche durch Bildung und Sport einen Weg aus dem Slum, fort von der Deponie finden, die hinter dem Bolzplatz in den Himmel ragt. Bild: Frank Röth
Hamilton Ayiera hat auf der größten Müllkippe von Nairobi Abfall gesammelt, bis er es rausschaffte. Doch er kehrte seinem Slum nicht den Rücken. Heute unterstützt er dort Tausende Jugendliche – und die German Doctors.
Wenn Hamilton Ayiera über die staubigen Trampelpfade in Korogocho läuft, muss er viele Hände schütteln. Jeder will ihn grüßen, jeder will den besonderen Handschlag von ihm: Hand fassen, dann einschlagen, dann wieder zufassen. Fremden reicht man die Hand einfach. Aber bei Hamilton Ayiera ist alles besonders. Er schwingt seinen Gehstock durch die Luft, wie es ein paar Hundert Kilometer südlich die Maasai tun, um ihren Kühen und Ziegen den richtigen Weg zu weisen. Nur, dass Ayieras Herde die Bewohner von Korogocho sind. Hunderte Jugendliche hat er schon aus dem Slum geführt.
Der kompakte Mann ist in Korogocho eine Art Heiliger. Korogocho, das ist seine Heimat und sein Schicksal. Das Wort bedeutet im lokalen Slang „Durcheinander“. Der Name ist Programm. Seit Jahrzehnten lädt Nairobi seinen Müll auf dieser einen Halde ab. „Es war mal flach hier“, sagt Ayiera. Er und die Müllkippe teilen sich das Geburtsjahr: 1982. Inzwischen erheben sich mächtige Hügel hinter dem Nairobi River. Sie bestehen vollkommen aus Abfall. Rundherum hat sich ein Slum mit etwa 200.000 Bewohnern gebildet. Und obendrauf sind die Slumbewohner unterwegs. Sie sortieren und sammeln den Müll, um ihn weiterzuverkaufen, oder ziehen Essensreste aus den Hügeln.
Gerade zu viel zum Sterben
Hamilton Ayiera war einer von ihnen. Als Junge fing er an, auf die Müllkippe zu steigen. Seine Zähne sind ihm vor einer Weile ausgefallen, wegen der giftigen Dämpfe und all dem Schrott, den er in den Jahren aß. Nach der vierten Klasse war Schluss mit Schule – „Nicht weil ich doof war“, sagt Hamilton Ayiera. Bildung kostet in Kenia, und die Ayieras hatten kein Geld. Die Eltern waren selbst auf der Müllkippe unterwegs. Was sie dort fanden, war gerade zu viel zum Sterben.
Das Einzige, was der junge Hamilton außer dem Müll hatte, war Fußball. Er kickte mit den anderen Kindern in jeder freien Minute. Das war sein Leben, Jahr für Jahr. Hoch auf die Müllkippe, säckeweise Flaschen und anderen Schrott einsammeln, mit den Marabus um Essensreste kämpfen, dann Fußball, bis es dunkel wird und man sich besser in seiner Hütte versteckt. Korogocho im Dunkeln ist ein gefährlicher Ort, noch heute. Nur mit Hamilton Ayiera an ihrer Seite gehen Mitarbeiter der German Doctors überhaupt in den Slum.
Eines Tages, Hamilton war gerade von der Müllkippe heruntergekommen und hatte seinen Sack abgelegt, kam ein Scout ins Viertel. Er sah Ayiera spielen und wählte ihn für das kenianische Team im Homeless Cup aus, einem internationalen Fußballturnier. Und der junge Mann, damals gerade 21 Jahre alt, erspielte sich ein Preisgeld von 1000 US-Dollar. Das entsprach etwa seinem Verdienst von drei Jahren Müllsammeln.
Über Bildung und Fußball in eine bessere Zukunft
Nun hätte Ayiera mit seinen 1000 Dollar in der Tasche wegziehen können, ein kleines Geschäft aufmachen oder zumindest ein paar Monate gut essen. Er aber trug das Geld in den Slum zurück und baute einen Jugendclub auf. Seit 16 Jahren gibt es in Korogocho nun die „Ayiera Initiative“. Sie will den Slum durch Bildung und Fußball verändern. Die Jugendlichen sollen eine Perspektive und eine Zukunft bekommen.
Die Initiative begann klein, in einem Schuppen an der staubigen Hauptstraße in Korogocho. Dann mietete Ayiera ein größeres Haus um die Ecke. Er ist ein findiger Mann, hat sich um Unterstützung gekümmert und große Spender für seine Idee an Land gezogen: Die Care Foundation fördert ihn, ebenso das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Inzwischen hat er selbst ein zweigeschossiges Haus gebaut, in dem die Jugendlichen spielen und lernen. An die Fassade hat er freihändig einen Bundesadler pinseln lassen, zu Ehren des großen Unterstützers. Einmal im Monat stellt er es außerdem den German Doctors zur Verfügung. Sie bieten dort dann eine improvisierte Sprechstunde für die Slumbewohner an, die sonst keinen Zugang zu Medizin haben. Damit die Hilfe der German Doctors verstetigt werden kann, geht in diesem Jahr die Hälfte der Spenden der Aktion „F.A.Z.-Leser helfen“ an die Organisation.